Neues Pflegezeitgesetz Verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie
von Rechtsanwalt Dr. Norbert Pflüger, Frankfurt a. M.
Rund eine Million Pflegebedürftige werden derzeit von ihren Angehörigen versorgt. Seit 1. Juli 2008 ist das Pflegezeitgesetz in Kraft. Es regelt den gesetzlichen Anspruch von Berufstätigen, sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. Künftig können diese während des sogenannten „Pflegeurlaubs” (kurzzeitige Abwesenheit) oder einer Pflegezeit (länger andauernde Abwesenheit) zu Hause betreut werden. Mit der neuen Regelung kann beispielsweise eine pflegebedürftige Mutter vom arbeitenden Sohn wie von der arbeitenden Schwiegertochter betreut werden.
Denn im Sinne des neuen Gesetzes sind nahe Angehörige neben den Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, die Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, die Geschwister und die Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder sowie die Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners sowie die Schwiegerkinder und Enkelkinder.
Die kurzzeitige Arbeitsverhinderung (Pflegeurlaub)
In einer akut aufgetretenen Pflegesituation kann der Beschäftigte unabhängig von der Unternehmensgröße bis zu zehn Arbeitstage frei nehmen, wenn er eine bedarfsgerechte Pflege organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherstellen muss (§ 2 des Pflegezeitgesetz). Dabei hat der Beschäftigte seine Verhinderung an der Arbeitsleistung und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Der Arbeitgeber kann eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen und die Erforderlichkeit der notwendigen Maßnahmen verlangen. Beschäftigte im Sinne des Gesetzes und damit anspruchsberechtigt sind nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Auszubildende sowie Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.
Allerdings regelt das Gesetz nicht eindeutig, ob der Arbeitgeber bei der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung zur Lohn-, bzw. Gehaltsfortzahlung verpflichtet ist. Eine Vergütungspflicht ist nur dann gegeben, soweit sich eine solche Verpflichtung aus anderen gesetzlichen Vorschriften oder aufgrund einer Vereinbarung ergibt. Eine solche Vorschrift lässt sich aus § 616 BGB ableiten. Hiernach bleibt der Vergütungsanspruch für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit bestehen, wenn der Beschäftigte durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert ist. Allerdings stellt § 616 BGB eine Ausnahmevorschrift dar und umfasst eher kürzere Verhinderung von nur wenigen Arbeitstagen. Ob auch zehn Arbeitstage als eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne von § 616 BGB angesehen werden, darf bezweifelt werden. Es empfiehlt sich daher eine einvernehmliche Regelung mit dem Arbeitgeber anzustreben.
Die längerfristige Freistellung (Pflegezeit)
In § 3 des Pflegezeitgesetzes wird die längerfristige vollständige oder teilweise Freistellung bei einem familiären Pflegefall geregelt. Künftig kann ein Arbeitnehmer in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten im Rahmen der so genannten Pflegezeit eine Freistellung für maximal sechs Monate beanspruchen. Die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen ist dem Arbeitgeber durch Vorlage einer Bescheinigung der Pflegekasse oder des medizinischen Dienstes des Krankenversicherung nachzuweisen. Während der Pflegezeit übernimmt die Pflegekasse die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Auch die Fortführung der privaten Krankenversicherung wurde durch Ergänzungen im SGB V geregelt. Gesetzlich Krankenversicherte erhalten auf Antrag Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Antragsformalien und Fristen sind zu beachten
Der Anspruch ist an Fristen gebunden und muss schriftlich geltend gemacht werden. Beschäftigte, die Pflegezeit beanspruchen möchten, müssen dies dem Arbeitgeber spätestens zehn Arbeitstage vor Beginn schriftlich ankündigen und gleichzeitig erklären, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung von der Arbeitsleistung in Anspruch genommen werden soll. Dies bezieht sich auch auf eine teilweise Freistellung. Die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit ist genau anzugeben und Arbeitgeber und Beschäftigter müssen über die Verringerung und die Verteilung der Arbeitszeit eine schriftliche Vereinbarung treffen. Der Arbeitgeber hat dabei den Wünschen des Beschäftigten zu entsprechen, es sei denn, dass dringende betriebliche Gründe entgegenstehen.
Kommt es zu keiner Einigung wird der Beschäftigte seinen Anspruch vor den Arbeitsgerichten durchsetzen müssen. Anderenfalls wird der Arbeitgeber das von ihm nicht genehmigte Fernbleiben als Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Leistungspflicht des Beschäftigten werten.
Arbeitgeber müssen beachten, dass im Rahmen der Pflegezeit ein Sonderkündigungsschutz gilt. Gemäß § 5 des Pflegezeitgesetzes darf der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 oder der Pflegezeit nach § 3 nicht kündigen. Nur in besonderen Fällen – etwa bei einer vollständigen Betriebsstilllegung – kann eine Kündigung von der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ausnahmsweise für zulässig erklärt werden. Für Arbeitgeber bedeutet diese Regelung einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand.
Da eine zeitliche Eingrenzung des Kündigungsschutzes in § 5 des Pflegzeitgesetzes fehlt, muss der Arbeitergeber bei den üblich zu beachtenden Kündigungsfristen mit deutlichen Verzögerungen rechnen. Denn zwischen Ankündigung bis zur Beendigung, insbesondere bei einer sechsmonatigen Pflegezeit, kann ein erheblicher Zeitraum liegen. Beschäftigten bietet diese Kündigungsschutzregelung einerseits eine größere Arbeitplatzsicherheit. Andererseits ist auf das Risiko hinzuweisen, dass die Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen zur Sicherung des Arbeitsverhältnisses missbraucht werden kann.
In der Regel ist aber davon auszugehen, dass die Arbeitgeber die familiäre Ausnahmesituation des Beschäftigten respektieren und einvernehmliche Vereinbarungen anstreben, damit es erst gar nicht zu einer Auseinandersetzung im Beschäftigungsverhältnis kommt.
Der Autor ist Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V.
Für Rückfragen steht Ihnen der Autor gerne zur Verfügung
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