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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 1. August 2024 – 6 AZR 38/24
Schlagworte/Normen:
Feiertagszuschläge - Maßgeblichkeit des regelmäßigen Beschäftigungsorts
Volltext PE:
Für Beschäftigte, die unter den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) fallen, richtet sich der Anspruch auf Feiertagszuschläge danach, ob am regelmäßigen Beschäftigungsort ein gesetzlicher Feiertag ist.
Der Kläger, dessen regelmäßiger Beschäftigungsort in Nordrhein-Westfalen liegt, nahm auf Anordnung seines Arbeitgebers vom 1. bis 5. November 2021 an einer Fortbildungsveranstaltung in Hessen teil. Das auf den 1. November fallende Hochfest Allerheiligen ist zwar nach dem Feiertagsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen gesetzlicher Feiertag, nicht jedoch nach den für das Bundesland Hessen geltenden landesrechtlichen Bestimmungen. Vor diesem Hintergrund streiten die Parteien darüber, ob dem Kläger gleichwohl für die am 1. November 2021 von ihm in Hessen unstreitig erbrachte Arbeitsleistung Feiertagszuschläge zustehen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Dem Kläger stehen die begehrten Feiertagszuschläge zu. Für den Zuschlagsanspruch ist nach den tariflichen Regelungen des TV-L der regelmäßige Beschäftigungsort maßgeblich. Dieser lag im Streitfall in Nordrhein-Westfalen.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/feiertagszuschlaege-massgeblichkeit-des-regelmaessigen-beschaeftigungsorts/
II.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil vom 14.08.2024 – 14 SLa 303/24
Schlagworte/Normen:
Tarifvertrag darf Inflationsausgleich während der Elternzeit ausschließen
Volltext PE:
Die Klägerin ist bei einer Kommune im Technischen Dienst beschäftigt. Sie befand sich vom 14.06.2022 bis zum 13.04.2024 in Elternzeit. Ab dem 14.12.2023 bis zum Ende der Elternzeit arbeitete sie mit 24 Wochenstunden in Teilzeit (Vollzeit = 39 Wochenstunden).
Der auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anzuwendende Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise (TV Inflationsausgleich) sah im Juni 2023 einen Inflationsausgleich von einmalig 1.240,00 Euro und in den Monaten Juli 2023 bis Februar 2024 von monatlich 220,00 Euro vor. Die Kommune zahlte der Klägerin diesen Inflationsausgleich nur für die Monate Januar und Februar 2024 in Höhe von 135,38 Euro (24/39 von 220,00 Euro).
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die tariflichen Voraussetzungen in §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 TV Inflationsausgleich, wonach an mindestens einem Tag ein Anspruch auf Entgelt bestanden haben muss, sie als Arbeitnehmerin in Elternzeit unzulässig wegen des Geschlechts diskriminiere. Es liege eine mittelbare Diskriminierung vor, weil Mütter länger in Elternzeit gingen als Väter. Diese Ungleichbehandlung sei mit dem Zweck des Inflationsausgleichs nicht vereinbar. Vielmehr sei sie in Elternzeit in besonderem Maße von den steigenden Preisen betroffen. Dem tritt die Arbeitgeberin entgegen und verweist u.a. auf die Tarifautonomie.
Die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat heute anders als das Arbeitsgericht Essen den Antrag der Klägerin auf Zahlung des vollen Inflationsausgleichs zurückgewiesen. Die tarifliche Regelung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie ist wirksam.
Die Tarifvertragsparteien dürfen den Bezug von Entgelt an mindestens einem Tag als Anspruchsvoraussetzung für den Inflationsausgleich festlegen. Weil das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit - ausgenommen die Teilzeittätigkeit - ruht, erfüllt die Klägerin diese Voraussetzung nicht. Sie hat keinen Entgeltanspruch. Diese Differenzierung ist sachlich gerechtfertigt und stellt keine mittelbare Diskriminierung dar, weil der tarifliche Inflationsausgleich auch einen Vergütungszweck verfolgt. Er ist arbeitsleistungsbezogen ausgestaltet. Fehlt es daran völlig, weil nicht an einem Tag ein Entgeltanspruch besteht, besteht kein Anspruch. Soweit Beschäftigte, die Krankengeld bzw. Kinderkrankengeld beziehen, einen Inflationsausgleich erhalten, erfolgt dies aus sozialen Gründen zur Abmilderung besonderer Härten. Für diese durften die Tarifvertragsparteien andere Regelungen vorsehen als für Beschäftigte in Elternzeit. Die Inanspruchnahme einer Elternzeit ist im Regelfall planbar, die eigene oder die Erkrankung des Kindes tritt dagegen typischerweise plötzlich und unerwartet auf.
Die Kammer hat der Klägerin lediglich aufgrund ihrer Teilzeittätigkeit für den Monat Dezember 2023 einen Inflationsausgleich von 220,00 Euro zugesprochen. Sie hatte in diesem Monat an einem Tag Anspruch auf Arbeitsentgelt. Für die Höhe der Inflationsausgleichsprämie ist die am ersten Tag des Bezugsmonats vereinbarte Arbeitszeit maßgeblich. Diese war am 01.12.2023 noch fiktiv 100%. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 8.000,00 Euro wegen unzulässiger Geschlechtsdiskriminierung (§ 15 Abs. 2 AGG) hatte keinen Erfolg, weil die Kommune die Klägerin nicht wegen des Geschlechts diskriminiert hat.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.
Siehe:
https://www.justiz.nrw/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/Nr_10_24/index.php
III.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 20. August 2024 – 3 AZR 285/23
Schlagworte/Normen:
Arbeitgeberzuschuss zu Entgeltumwandlung – Tariföffnung
Volltext PE:
Von den gesetzlichen Regelungen zur Entgeltumwandlung (§ 1a BetrAVG) einschließlich des Anspruchs auf einen Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG kann gemäß § 19 Abs. 1 BetrAVG* auch in Tarifverträgen abgewichen werden, die bereits vor Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes am 1. Januar 2018 geschlossen wurden.
Der Kläger ist seit 1982 als Holzmechaniker bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beidseitiger Tarifbindung der seit dem 1. Januar 2009 geltende Tarifvertrag zur Altersversorgung zwischen dem Landesverband Niedersachen und Bremen der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie e.V. und der IG-Metall vom 9. Dezember 2008 (TV AV) Anwendung. Der Kläger wandelt seit 2019 auf der Grundlage dieses Tarifvertrags monatlich Entgelt um. Der Tarifvertrag gewährt den Arbeitnehmern, die Entgelt umwandeln, einen zusätzlichen Altersvorsorgegrundbetrag in Höhe des 25-fachen des Facharbeiter-Ecklohns.
Der Kläger verlangt von der Beklagten ab dem 1. Januar 2022 zusätzlich zu seinem umgewandelten Entgelt den Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG iHv. 15 vH. Er hat gemeint, der TV AV sei keine abweichende Regelung im Sinne von § 19 Abs. 1 BetrAVG. Der Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses aus § 1a Abs. 1a BetrAVG könne gemäß § 19 Abs. 1 BetrAVG nicht durch eine tarifvertragliche Regelung zur Entgeltumwandlung ausgeschlossen werden, die bereits vor In-Kraft-Treten der Regelung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers war vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Die Auslegung von § 19 Abs. 1 BetrAVG ergibt, dass von § 1a BetrAVG abweichende Regelungen auch in vor dem Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes geschlossenen Tarifverträgen enthalten sein können. Mit den Regelungen des TV AV liegt eine solche von § 1a BetrAVG abweichende Regelung im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrAVG vor.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/arbeitgeberzuschuss-zu-entgeltumwandlung-tarifoeffnung/
IV.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss vom 6.08.2024 – 2 Ta 49/24
Schlagworte/Normen:
Keine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nur bei bloßer Behauptung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses
Leitsätze:
Die bloße Behauptung des Klägers, das Vertragsverhältnis der Parteien sei als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren, begründet nicht die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen. Schon gar nicht ausreichend ist es, wenn der Kläger lediglich in seinen Anträgen darauf abstellt, dass die "Kündigung des Arbeitsverhältnisses" unwirksam sei. Zwar eröffnet bei streitiger Tatsachengrundlage die bloße Rechtsansicht der Klagepartei, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen (BAG v. 3.12.2014 - 10 AZB 98/14 -, Rn 17). Erforderlich ist aber darüber hinaus, dass die Klagepartei die Voraussetzungen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten schlüssig darlegt.
Siehe:
https://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/bssh/document/NJRE001584258
V.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss vom 1.08.2024 – 5 Ta 58/24
Schlagworte/Normen:
Streitwert - Vergleichsmehrwert – Prämie
Leitsätze:
1. Bei einer Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung besteht keine Regelhaftigkeit, dass der Arbeitgeber eine Prämie oder Bonuszahlung vollständig oder teilweise verweigert.
2. Ein "Streit" oder eine "Ungewissheit" im Sinne des § 779 BGB, die Voraussetzung für das Vorliegen eines Vergleichsmehrwerts sind, ist daher nur gegeben, wenn die Beteiligten hierzu konkret vortragen (Geltendmachung, Ablehnung).
Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001583947
VI.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.05.2024, Az.: 14 SLa 26/24
Schlagworte/Normen:
Anspruch eines ehemaligen langjährig beschäftigten Arbeitnehmers auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie während der passiven Phase der Altersteilzeit
Leitsätze:
Ein Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit wird nicht sachfremd benachteiligt, wenn der Arbeitgeber nur an die noch aktiv Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie nach § 3 Nr. 11 c) EStG zahlt.
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/dba0a572-3c24-4a99-811b-a16321814712
VII.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.05.2024, Az.: 11 TaBV 76/23
Schlagworte/Normen:
Auslegung; Einigungsstellenspruch; Mitbestimmung; Tarifvertrag; Einigungsstellenspruch über Zusatzurlaub nach § 12 I A Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie
Leitsätze:
§ 12 I A Nr. 10 des Bundesmanteltarifvertrages (BMTV) für die Süßwarenindustrie eröffnet kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht (Initiativrecht) des Betriebsrats zur Einführung eines Zusatzurlaubs für Beschäftigte mit mehr als 25-jähriger Betriebszugehörigkeit.
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/b3f7727d-1bb9-43bb-876c-6b34485ba4a8
VIII.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.05.2024, Az.: 14 Sa 618/23
Schlagworte/Normen:
Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.R.v. Ansprüchen eines Beschäftigten auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/ac8dbe44-5017-4ed0-a4eb-b38d11003b9a
IX.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.07.2024, Az.: 14 SLa 121/24
Schlagworte/Normen:
Aufrechnung des Arbeitgebers mit Gegenansprüchen gegen Bruttolohnforderungen des Arbeitnehmers
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/05066628-9499-494f-a84a-8414f5082e77
Neu eingestellte Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein:
Keine
Sonstiges:
I.
Bundesgerichtshof
Urteil vom 16. Juli 2024 - II ZR 71/23 – veröffentlicht am 23.07.2024
Schlagworte/Normen:
GmbHG § 46; AktG § 241 Nr. 3
GmbHG § 46 Nr. 5, § 53
Leitsätze:
GmbHG § 46; AktG § 241 Nr. 3
Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen,
sind lediglich anfechtbar.
GmbHG § 46 Nr. 5, § 53
Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung ist keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung.
Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=2&nr=138375&anz=1293&pos=60
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
VDAA – Präsident
VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V.
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