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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Beratungspflicht des Gebäudeversicherers gegenüber dem Erwerber einer bereits versicherten Immobilie
OLG, Urteil vom 05.10.2023, Az: 12 U 66/23
1. Dem Erwerber eines bebauten Grundstücks kommt bereits in der Zeit zwischen Gefahrübergang und Eigentumserwerb ein versicherbares Sacherhaltungsinteresse zu, welches er dadurch versichern kann, dass er mit eigenen Rechten und Pflichten in einen bereits bestehenden Gebäudeversicherungsvertrag des Veräußerers eintritt oder einen neuen Gebäudeversicherungsvertrag abschließt (Anschluss an BGH, Urteil vom 17.06.2009 - IV ZR 43/07). Bereits vor Gefahrübergang ist der Abschluss eines Neuvertrags durch den Erwerber als Versicherung für fremde Rechnung möglich, welche nach Gefahrübergang zur Eigenversicherung wird.
2. Wendet sich der Erwerber noch vor Eigentumserwerb an den Versicherer eines mit dem Veräußerer bestehenden Versicherungsvertrags mit dem Anliegen, die bestehende Gebäudeversicherung vorzeitig zu übernehmen und ab sofort für die Beitragszahlung aufzukommen, ist der Versicherer ihm gegenüber zur Beratung gemäß § 6 Abs. 1 VVG verpflichtet. Gleiches gilt für den so kontaktierten Versicherungsvertreter gemäß § 61 Abs. 1 VVG.
3. Im Rahmen dieser Beratung kann es auch geboten sein, dem Erwerber die Möglichkeit des Neuabschlusses einer zusätzlichen Gebäudeversicherung aufzuzeigen. Die bloße Auskunft, eine Übernahme des bestehenden Vertrags sei vor Eigentumsumschreibung nur mit Einverständnis des Versicherungsnehmers möglich, ist dann nicht ausreichend.
II.
Bestattungspflicht und Kostenerstattungspflicht bei fehlender Nähe zum Verstorbenen; Unverhältnismäßigkeit bei Missbrauch durch diesen
VG Stuttgart, Urteil vom 21.09.2023, Az: 6 K 1805/22
1. Die Bestattungspflicht und damit einhergehend die Pflicht zur Erstattung der angefallenen Bestattungskosten knüpft in der sonderpolizeilichen Regelung des § 31 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 1 BestattG (juris: BestattG BW) allein an die Eigenschaft als Angehöriger der Verstorbenen an, ohne auf ein tatsächlich bestehendes persönliches Verhältnis zwischen Verstorbenem und Bestattungspflichtigen abzustellen.
2. Im Falle einer schwerwiegenden Störung im persönlichen Verhältnis zwischen Verstorbenen und Kostentragungspflichtigen besteht die Möglichkeit, die erforderlichen Kosten einer Bestattung nach § 74 SGB XII (juris: SGB 12) vom Sozialhilfeträger des Bestattungsortes zu verlangen.
3. Zum Vorliegen eines seltenen Ausnahmefalles der Annahme einer unverhältnismäßigen Inanspruchnahme durch die Ortspolizeibehörde auf der Grundlage des § 31 Abs. 2 BestattG (juris: BestattG BW) (Fortentwicklung der Rechtsprechung der Kammer, vgl. Urt. v. 20.02.2020 - 6 K 4029/18 - juris).
III.
Erstattung der Kosten für Verwahrung nach Abschleppen
BGH, Urteil vom 17.11.2023, Az: V ZR 192/22
Zu den nach den Vorschriften der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters. Ein konkurrierender deliktischer Anspruch wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes reicht im Ergebnis nicht weiter.
Es kommt ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten nach § 304 BGB in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, so dass der Halter in Annahmeverzug gerät.
IV.
Gehaltsrückforderung wegen nicht erbrachter Arbeitsleistung (im Homeoffice – die Red.) - Darlegungs- und Beweislast
LAG Mecklenburg- Vorpommern, Urteil vom 28.09.2023, Az: 5 Sa 15/23
1. Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers entfällt ganz oder teilweise, wenn der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht oder nicht in vollem Umfang nachkommt, es sei denn, die Vergütung ist aus anderen Rechtsgründen fortzuzahlen, z. B. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
2. Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, dass und in welchem Umfang der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nicht erfüllt hat. Auf den entsprechenden Prozessvortrag des Arbeitgebers hat der Arbeitnehmer sodann substantiiert zu erwidern. Das gilt auch bei Arbeitsleistungen im Home-Office.
V.
Schmiergeld
LAG Köln, Urteil vom 05.10.2023, Az: 6 Sa 152/22
Steht nach Beweisaufnahme fest, dass der bis zuletzt bestreitende Arbeitnehmer Schmiergeld entgegengenommen hat und muss sodann der eingetretene Schaden geschätzt werden, so ist der zu schätzende Betrag nicht auf einen Mindestschaden begrenzt. Es gibt keinen Grund einen Schädiger auf diese Weise zu privilegieren, insbesondere den pflichtwidrig schweigenden Täter, der entgegen der Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO seine Täterschaft bestreitet.
VI.
Erfolgshonorar bei M&A-Beratung
LG Frankfurt, Teilurteil vom 23.10.2023, Az: 3-02 O 56/22
1. Ein M&A-Beratervertrag, zu dessen Pflichtenkatalog es gehört, den Auftraggeber umfassend im M&A-Prozess zu beraten und zu begleiten, ist nicht Maklervertrag, sondern Geschäftsbesorgungsdienstvertrag. Dies gilt auch dann, wenn der Vertrag ein erfolgsabhängiges Transaktionshonorar vorsieht. Ein solcher Vertrag ist AGB-rechtlich nicht am Leitbild des Maklervertrags zu messen.
2. Lässt sich ein solcher M&A-Berater ein erfolgsabhängiges Transaktionshonorar versprechen, das auch bei Zustandekommen einer Transaktion innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Beratungsmandats zu zahlen ist, ohne dass es ein Kausalitätserfordernis gibt, liegt kein Fall der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 BGB vor. Dies gilt erst recht dann, wenn der M&A-Berater allein erfolgsabhängig und nicht zugleich aufwandsbezogen vergütet wird.
3. Ist Bemessungsgrundlage für das Transaktionshonorar eines M&A-Beraters der (Eigenkapital-)Kaufpreis, sind hierbei - mangels besonderer Regelung im Beratervertrag - auch nachgelagerte Kaufpreisbestandteile wie ein „Earn-Out“ zu berücksichtigen.
VII.
Versicherungsrecht
OLG Dresden, Urteil vom 07.11.2023, Az: 4 U 54/23
1. Eine Verletzung der vom Versicherungsvermittler geschuldeten Dokumentationspflicht begründet keinen eigenständigen Schadensersatzanspruch, sondern führt lediglich zu einer Beweislastumkehr.
2. Auch bei Übergabe einer Statusinformation, die den Vermittler als Agenten der Versicherung ausweist, kann dessen Haftung als Anscheinsmakler in Betracht kommen, wenn er nach den Gesamtumständen den Eindruck erweckt, im Lager des Versicherungsnehmers zu stehen und eine vom Versicherungsunternehmen unabhängige Beratung zu leisten.
3. Vor der Umdeckung einer Berufsunfähigkeitsversicherung hat der Versicherungsmakler sich einen Überblick über den bestehenden Versicherungsschutz zu verschaffen.
4. Vor einem Wechsel der Berufsunfähigkeitsversicherung, der mit einem Ausschluss für bestimmte Erkrankungen verbunden ist, hat er den Versicherungsnehmer eindringlich auf die damit einhergehenden Risiken hinzuweisen.
VIII.
Seitlicher Mindestabstand im Verkehr
LG Saarbrücken, Urteil vom 10.11.2023, Az: 13 S 8/23
a) Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung aus § 1 Abs. 2 StVO einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Grundsätzlich reicht zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm. eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw aus. Ein Seitenabstand von unter 1 m genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht.
b) Im Rahmen der Abwägung zwischen einem Verstoß gegen § 14 StVO und einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO tritt erster komplett zurück, wenn der Fahrer des parkenden Fahrzeugs auf einer gut einsehbaren Straße schon mindestens 10 Sekunden in der geöffneten Tür mit dem Verladen von Gegenständen befasst ist.
IX.
Umfang der Freistellung von der Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments
OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.10.2023, Az: 21 W 69/23
1. Einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament mit wechselbezüglicher Schlusserbeneinsetzung der Abkömmlinge kann ohne weitere Anhaltspunkte regelmäßig nicht allein im Wege der ergänzenden Auslegung entnommen werden, dass dem überlebenden Ehegatten trotz grundsätzlich bindend gewordener Einsetzung des Abkömmlings als Vollerbe die zur Einrichtung eines sogenannten Behindertentestaments erforderlichen Eingriffe (Bestellung eines Testamentsvollstreckers und Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft) in die Rechtsstellung des Schlusserben gestattet sein sollen.
2. Zur Auslegung der Klausel eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments, wonach Teile des Immobilienvermögens eines der Ehegatten nicht von dem Testament umfasst sein sollen
X.
Energiepreispauschale
LAG Nürnberg, Beschluss vom 17.10.2023, Az: 7 Ta 81/23
Für den Rechtstreit auf Zahlung der Energiepreispauschale ist das Finanzgericht und nicht das Verwaltungsgericht oder das Arbeitsgericht zuständig.
(Leitsatz der Redaktion)
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
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