10 Urteile, die Ihre Leser interessieren könnten
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Wirksamkeit der Ausschließung mit Rechtskraft
BGH, Versäumnisurteil vom 11.07.2023, Az: II ZR 116/21
a)Der Gesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH kann unter den Voraussetzungen der actio pro socio die Ausschließungsklage gegen den anderen Gesellschafter erheben.
b)Wird ein Gesellschafter wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes ohne statutarische Regelung durch Urteil aus der GmbH ausgeschlossen, wird die Ausschließung des betroffenen Gesellschafters bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam und ist nicht durch die Leistung der Abfindung bedingt (Aufgabe von BGHZ 9, 157, 174).
II.
Prozessrecht - Finanzgerichtsordnung: Keine Gestattung der Teilnahme am Erörterungstermin per Videokonferenz bei Anordnung des persönlichen Erscheinens
FG Hamburg, Beschluss vom 30.08.2023, Az: 4 K 51/23
1. Hat das Gericht das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet, kann das Gericht im Rahmen des ihm nach § 91a Abs.1 FGO eingeräumten Ermessens den Antrag des Klägers, ihm die Teilnahme am Erörterungstermin per Videokonferenz zu gestatten, ablehnen.
2. Dies gilt auch dann, wenn dem Beklagten die Teilnahme am Erörterungstermin per Videokonferenz gestattet worden ist.
III.
Gegenleistung im Grunderwerbsteuerrecht
BFH, Beschluss vom 30.08.2023, Az: II B 45/22
Leistungen an einen Dritten gehören zur grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung (Bemessungsgrundlage) nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes, wenn sie gewährt werden, um das Grundstück in dem vereinbarten Zustand zu erwerben. Es ist nicht entscheidend, ob ein Vertrag zugunsten Dritter vorliegt.
IV.
Verfassungsmäßigkeit der Grundstückswertermittlung mittels gesetzlicher Liegenschaftszinssätze
BFH, Beschluss vom 30.08.2023, Az: II B 35/22
NV: Die Untätigkeit des Gutachterausschusses bei der Ermittlung örtlicher Liegenschaftszinssätze führt nicht zu einem strukturellen Vollzugsdefizit, da in diesem Fall die Bewertung und Besteuerung nach dem vom Gesetzgeber in § 188 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) festgelegten Zinssatz erfolgt. Der Steuerpflichtige hat zudem gemäß § 198 BewG die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
NV: Zum Leitsatz: Der Umstand, dass das Bewertungsergebnis davon abhängt, ob der Gutachterausschuss tätig geworden ist, und dass sich vorliegend die Tätigkeit des Gutachterausschusses zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirkt, weil der Liegenschaftszinssatz nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG niedriger ist als der vom Steuerpflichtigen in der Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts angesetzte Liegenschaftszinssatz nach § 188 Abs. 2 Satz 2 BewG, führt nicht zu einer widersprüchlichen, auf Ineffektivität angelegten Rechtslage.
V.
Erhebung einer Zweitwohnungssteuer
Verwaltungsgerichtshof 4. Senat Bayern, Beschluss vom 16.08.2023, Az: 4 ZB 23.114
1. Der Umstand, dass ein Eigentümer die durch zeitweilige Vermietung seiner Zweitwohnung erzielten Mieteinkünfte als Einkommen versteuern muss, steht der Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer auch dann nicht entgegen, wenn er die Wohnung in den Leerstandszeiten tatsächlich nicht nutzt.
2. Der Charakter der Zweitwohnungssteuer als Aufwandsteuer zwingt die steuererhebende Gemeinde nicht, den vom Steuerpflichtigen getätigten Aufwand in jedem einzelnen Fall konkret zu ermitteln; sie ist in der Wahl der Maßstabsgröße vielmehr frei, sofern diese den betriebenen Aufwand der Zweitwohnungsnutzung hinreichend realitätsnah abbildet.
3. Es liegt im Ermessen der rechtsetzenden Gemeinde, auf welche Weise sie bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen den jährlichen Aufwand für das Vorhalten einer Zweitwohnung ermittelt. Da für solche Wohnungen keine Mietausgaben anfallen und damit ein konkret bezifferbarer Anhaltspunkt für die tatsächlich entstehenden Kosten fehlt, stellt die Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe eine geradezu zwingende Ermittlungsmethode dar.
VI.
Keine regelmäßige Mutwilligkeit eines Antrags auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte im laufenden Kündigungsprozess
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.08.2023, Az: 15 Ta 9/23
Eine nicht bemittelte Partei darf in der Regel im Rahmen eines Kündigungsprozesses auch einen Antrag auf Entfernung einer Abmahnung aus ihrer Personalakte stellen, ohne dass ihr dieses Prozessverhalten als mutwillig angelastet und ihr deshalb für diesen Antrag die Prozesskostenhilfe mit der Begründung versagt werden darf, sie hätte erst den Ausgang des Kündigungsprozesses abwarten müssen.
VII.
Vergütungszahlung während einer Quarantäne wegen einer symptomlosen Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus
LAG Thüringen, Urteil vom 08.08.2023, Az: 1 Sa 41/23
1. Im Falle einer symptomlosen Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus liegt keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 3 EFZG vor.
2. Eine Quarantäneanordnung wegen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus stellt ein persönliches, nicht ein objektives Leistungshindernis im Sinne des § 616 BGB dar.
3. Wegen der gesetzgeberischen Ausgestaltung als Ausnahmetatbestand und unter Berücksichtigung der Risikoverteilung in einer Pandemie können bei einer behördlichen Quarantäneanordnung allenfalls wenige Tage einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum im Sinne des § 616 Satz 1 BGB darstellen. Hierbei sollte als Richtgröße eine Grenze von maximal fünf Tagen angenommen werden.
4. Der Arbeitgeber ist für einen Anspruch aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG nicht passivlegitimiert (Anschluss an LAG Düsseldorf, Beschluss vom 10.10.2022 - 3 Ta 278/22). Dies führt - unabhängig von der Frage des eröffneten Rechtswegs - zur Unbegründetheit einer hierauf gestützten Klage gegen den Arbeitgeber.
VIII.
Nachbarschaftsanfechtung einer Baugenehmigung: Rücksichtnahmegebot; Provokation eines Notwegerechts;
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.09.2023, Az: 7 B 808/22
1. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann ausnahmsweise auch dann zu bejahen sein, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße erheblich verschlechtert und die entstehende Gesamtbelastung infolgedessen bei Abwägung aller Belange unzumutbar ist.
2. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Baugenehmigung das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht verletzen kann, wenn sie infolge Fehlens der Erschließung für den Nachbarn in Richtung auf die Duldung eines Notwegerechts eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in der Weise bewirkt, dass er gehindert ist, der Inanspruchnahme des Notwegerechts die Rechtswidrigkeit des Vorhabens entgegenzuhalten.
IX.
Löschung der Eintragung aus der Architektenliste
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.09.2023, Az: 4 B 362/23
1. Die Eintragung eines Architekten aus der Architektenliste ist zu löschen, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass er nicht die für seinen Beruf erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Die Kammermitglieder sind verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft und unter Beachtung des Rechts auszuüben, dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen und alles zu unterlassen, was dem Ansehen des Berufsstandes schaden könnte.
2. Wenn ein angehender Architekt in seiner Funktion als Bauleiter einen Prüfbericht eines Prüfsachverständigen manipuliert und bei der Bauaufsichtsbehörde einreicht, um eine vorzeitige Inbetriebnahme zu erreichen, kann dies wegen der darin liegenden Rechtsverletzung im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit und Enttäuschung des ihm entgegengebrachten Vertrauens von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus dessen Unzuverlässigkeit bezogen auf den noch höheres Vertrauen beanspruchenden Beruf des Architekten ergibt. Dies gilt auch dann, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn handelt.
X.
Geschuldeter Schallschutz bei der Installation einer Lüftungsanlage in einem Einfamilienhaus
Ein gehobener Schallschutz kann als Mindeststandard nach den technischen Regeln auch dann konkludent vereinbart sein, wenn die Bauherren ein Einfamilienhaus errichten, sie dabei Einzelaufträge für einzelne Gewerke vergeben und es um eine haustechnische Anlage geht.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Schriftleiter mittelstandsdepesche
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Tel.: 0711/ 30 58 93-0Fax: 0711/ 30 58 93-11
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