10 Urteile, die Ihre Leser interessieren könnten
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Zahlungsklagen
LAG Niedersachsen, Urteil vom 02.05.2022, Az. 15 Sa 885/21
1. Der Arbeitnehmer muss sich den ihm während des Kündigungsschutzrechtsstreits von einem anderen Arbeitgeber gewährten Urlaub auf seine Urlaubsansprüche gegen den alten Arbeitgeber in entsprechender Anwendung der §§ 615 S. 2 BGB, 11 KSchG anrechnen lassen, wenn er die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig hätte erfüllen können. Das gilt auch für den vertraglich vereinbarten Urlaub der den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt.
2. Auch bei der Anrechnung des Urlaubs ist eine Gesamtberechnung anhand der im gesamten Anrechnungszeitraum gewährten Urlaubs vorzunehmen.
II.
Mietvertrag mit Wohngemeinschaft
BGH, Urteil vom 27.04.2022, Az. VIII ZR 304/21
a) Enthält ein Mietvertrag mit mehreren Mietern, die eine Wohngemeinschaft bilden, zu einem Austausch einzelner Mieter keine Regelung, ist im Wege einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung der auf den Vertragsabschluss gerichteten Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, ob nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien den Mietern ein Anspruch gegen den Vermieter auf Zustimmung zu einem künftigen Mieterwechsel zustehen sollte.
b) Allein aus dem Vorliegen eines Mietvertrags mit mehreren Mietern, die eine Wohngemeinschaft bilden, kann nicht auf einen derartigen übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien geschlossen werden. Vielmehr bedarf es hierfür konkreter Anhaltspunkte.
c) Nach den Umständen des Einzelfalls kann den Willenserklärungen der Parteien die Vereinbarung eines - unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit des eintretenden Mieters stehenden - Anspruchs der Mieter auf Zustimmung zum Austausch eines Mitmieters insbesondere dann zu entnehmen sein, wenn die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend davon ausgingen, dass sich häufig und in kurzen Zeitabständen ein Bedarf für eine Änderung der Zusammensetzung der in der Wohnung lebenden Personen ergeben kann, weil die Mieter voraussichtlich auf Grund ihrer persönlichen Lebensumstände bereits bei Vertragsschluss absehbar nur für einen kurzen Zeitraum an dem jeweiligen Ort leben werden und eine vertragliche Bindung über diesen Zeitraum hinaus nicht eingehen wollen. Dies kann insbesondere bei der Vermietung an Studenten, die eine Wohngemeinschaft bilden, der Fall sein.
III.
Kündigung und Wiederaufnahm in Gesellschaft
BGH, Urteil vom 12.07.2022, Az. II ZR 81/21
Einer nach Kündigung der Gesellschaft durch einen Gesellschafter als Privatgläubiger auf Feststellung des Ausscheidens des gekündigten Gesellschafters gerichteten Klage kann ein aus der gesellschafterlichen Treuepflicht folgender Wiederaufnahmeanspruch entgegengehalten werden.
IV.
Leistungsausschluss wegen wissentlicher Pflichtverletzung in der D&O-Versicherung bei fehlender Vermittlererlaubnis
OLG Frankfurt, Urteil vom 06.07.2022, Az. 7 U 147/20
Aus dem Fehlen der nach §34f Abs.1 S.2 GewO erforderlichen Vermittlererlaubnis kann auf eine wissentliche Pflichtverletzung geschlossen werden, die zum bedingungsgemäßen Leistungsausschluss in der D&O-Versicherung führt, da es sich bei der Erlaubnispflicht um eine berufliche Kardinalpflicht des Anlageberaters handelt.
V.
Bankgebühren
OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 07.07.2022, Az. 2 U 43/21
1. Eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Sparkasse in Bezug auf Kreditverträge, wonach der Kunde für die Sieglung von Urkunden eine Aufwandspauschale zu entrichten hat, benachteiligt Verbraucher unangemessen und ist nach §307 Abs.1 S.1, Abs.2 Nr.1 BGB unwirksam, weil eine Sparkasse für die Siegelung von Löschungsbewilligungen kein Entgelt verlangen darf.
2. Eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Sparkasse in Bezug auf Kreditverträge, wonach der Kunde für die Erstellung von Saldenbestätigungen, soweit durch vom Kunden zu vertretende Umstände veranlasst, eine Aufwandspauschale zu entrichten hat, erfasst bei kundenfeindlichster Auslegung auch den im Zusammenhang mit einer Ablöseauskunft mitgeteilten Darlehenssaldo. Sie ist nach §307 Abs.1 S.1, Abs.2 Nr.1 BGB unwirksam, weil der Darlehensgeber bei Immobiliar-Verbraucherdarlehen gemäß §493 Abs.5 S.2 Nr.2 BGB bei einer Ablöseauskunft verpflichtet ist, die Höhe des zurückzahlenden Betrags und dessen Zusammensetzung mitzuteilen, ohne dafür ein Entgelt erheben zu dürfen.
VI.
Coronazulage
LG Hannover, Beschluss vom 08.07.2022, Az. 11 T 23/22
Die Corona-Sonderzahlung des Arbeitgebers kann im Einzelfall eine unpfändbare Erschwerniszulage i.S.v. §850a Nr.3 ZPO, damit dem Zugriff der Gläubiger gem. §36 Abs.1 InsO entzogen und folglich freizugeben sein.
VII.
Insolvenzanfechtung
BGH, Urteil vom 23.06.2022, Az. IX ZR 75/21
1. Erhält der Gläubiger Zahlungen auf der Grundlage eines schlüssigen Sanierungskonzepts, genügt es zur Widerlegung der Vermutung der Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners, wenn der Anfechtungsgegner konkrete Umstände darlegt und beweist, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm dieser im Hinblick auf den Sanierungsversuch unbekannt geblieben ist.
2. Der Anfechtungsgegner darf grundsätzlich auf schlüssige Angaben des Schuldners oder des von ihm beauftragten Sanierungsberaters zum Sanierungskonzept vertrauen. Er ist nicht verpflichtet, die laufende Umsetzung des Konzepts zu überprüfen. Der Vertrauensschutz entfällt nur, wenn er erhebliche Anhaltspunkte dafür hat, dass er getäuscht werden soll oder dass das Sanierungskonzept keine Aussicht auf Erfolg hat oder gescheitert ist.
VIII.
Unterhaltsvorschuss
Oberverwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 12.07.2022, Az. 2 LA 362/21
Der Elternteil, bei dem das potentiell unterhaltsvorschussberechtigte Kind lebt, genügt seinen Mitwirkungspflichten aus §1 Abs.3 UhVorschG nicht, wenn er zumutbare Angaben, die der Unterhaltsvorschusskasse helfen könnten, die Person des Unterhaltsverpflichteten ausfindig zu machen, nicht macht, seine Angaben unsubstantiiert bleiben und er sich zudem in Widersprüche verwickelt, so dass das Vorbringen in seiner Gesamtheit zu der Überzeugung führt, dass sein Vortrag, zur Identität des anderen Elternteils keine weiteren Angaben machen zu können, unglaubhaft ist.
IX.
Rechtsmissbräuchlichkeit eines Auskunftsanspruches im Datenschutzrecht
AG Pforzheim, Urteil vom 05.08.2022, Az. 4 C 1845/21
Kein Anspruch aus Art. 12 DS-GVO bei Verfolgung sachfremder Ziele (hier: exzessive Drohungen und Beleidigungen zum Nachteil des Gegners und der gegnerischen Prozessbevollmächtigten überlagern/verdrängen datenschutzrechtliches Anliegen).
X.
Waschanlage und Haftung
LG Stendal, Urteil vom 30.07.2022, Az. 22 S 6/22
Reißt ein Heckscheibenwischer eines Fahrzeugs während des Reinigungsvorgangs in einer Waschstraße ab und weist ein nachfolgender Pkw danach Lackschäden auf, liegt ein pflichtwidriges Unterlassen des Erstnutzers im Verhältnis zum nachfolgenden Nutzer jedenfalls dann, wenn Hinweise auf mögliche Gefahren für weitere Nutzer fehlen, nicht allein in dem Belassen des Heckscheibenwischer in senkrechter Position und in der fehlenden Nutzung einer Schutzhülle.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Schriftleiter mittelstandsdepesche
Rechtsanwälte Dr. Gaupp & Coll.
Kronprinzstr. 14 70173 Stuttgart
Tel.: 0711/ 30 58 93-0Fax: 0711/ 30 58 93-11
E-Mail: henn@drgaupp.dewww.drgaupp.de
« zurück