McAdvo Anwaltssuche – Finden Sie einen Rechtsanwalt - Schweiz
 
 
Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


» zum Anwaltsprofil

Urteile, die Sie interessieren könnten

zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht Michael Henn, Stuttgart


I.
Kein Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Mai 2022 – 6 AZR 224/21
In der Insolvenz des Arbeitgebers besteht kein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers. Ist ein solcher Anspruch vor Insolvenzeröffnung bereits gegenüber dem Schuldner entstanden, erlischt er mit Insolvenzeröffnung. Die Insolvenzordnung bindet durch § 108 Abs. 1 InsO den Insolvenzverwalter nur an bereits vom Schuldner begründete Arbeitsverhältnisse, kennt jedoch keinen Kontrahierungszwang des Insolvenzverwalters. Einen solchen Zwang kann nur der Gesetzgeber anordnen.
Der Kläger war bei einem Betten- und Matratzenhersteller mit rund 300 Arbeitnehmern beschäftigt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31. Juli 2019 wegen Betriebsstilllegung. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, noch während der Kündigungsfrist sei ein Betriebsübergang auf die spätere Schuldnerin beschlossen und am 1. August 2019 vollzogen worden. Er nahm deshalb die spätere Schuldnerin, die etwa 20 Arbeitnehmer beschäftigte, auf Wiedereinstellung in Anspruch. Gegen eine von der späteren Schuldnerin erklärte vorsorgliche Kündigung erhob er fristgerecht Kündigungsschutzklage. Während des Berufungsverfahrens wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Verfahren wurde dadurch unterbrochen. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz vom 29. Juni 2020 die Aufnahme des Verfahrens. Der Beklagte widersprach der Aufnahme. Das Landesarbeitsgericht hat mit Zwischenurteil festgestellt, dass das Verfahren weiterhin unterbrochen ist.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts aus prozessualen Gründen Erfolg. Der richterrechtlich entwickelte Wiedereinstellungsanspruch kommt zum Tragen, wenn sich die bei Zugang der Kündigung noch zutreffende Prognose des Arbeitgebers, der Beschäftigungsbedarf werde bei Ablauf der Kündigungsfrist entfallen, als fehlerhaft erweist, etwa weil es zu einem Betriebsübergang kommt. Zwar besteht ein solcher Anspruch in der Insolvenz nicht, so dass der Rechtsstreit an sich nicht nach § 240 ZPO unterbrochen wird. Wird jedoch mit dem Wiedereinstellungsanspruch – wie im vorliegenden Fall – zugleich die Wirksamkeit einer Kündigung angegriffen, führt das zur Unterbrechung auch bezüglich des Streits über die Wiedereinstellung. Umgekehrt hat die Aufnahme des Kündigungsrechtsstreits, für die es nach § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO genügt, dass bei Obsiegen des Arbeitnehmers Masseverbindlichkeiten entstehen können, auch die Aufnahme des Streits über die Wiedereinstellung zur Folge.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/kein-wiedereinstellungsanspruch-in-der-insolvenz/
II.
Mindestlohn nicht gegen Insolvenzanfechtung gesichert Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Mai 2022 – 6 AZR 497/21 –
Bei Insolvenz des Arbeitgebers kann der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO vom Arbeitnehmer das zu bestimmten Zeitpunkten ausbezahlte Arbeitsentgelt zu Gunsten der Insolvenzmasse zurückfordern. Dies dient der gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger nach den insolvenzrechtlichen Verteilungsregeln. Der Rückgewähranspruch umfasst das gesamte Arbeitsentgelt einschließlich des gesetzlichen Mindestlohns. Der Gesetzgeber hat den Mindestlohn nicht anfechtungsfrei gestellt.

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 06-2022
Die beklagte Arbeitnehmerin erhielt in den letzten beiden Monaten vor dem Insolvenzantrag – und damit in von § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO erfassten Zeiträumen – unter Angabe des Verwendungszwecks für zwei Monate ihr Arbeitsentgelt von dem Konto der Mutter ihres damals bereits zahlungsunfähigen Arbeitgebers. Am 1. Dezember 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet. Der auf Rückgewähr klagende Insolvenzverwalter hat die Zahlungen wegen sog. Inkongruenz angefochten. Nach Ansicht der Beklagten ist eine Anfechtung in Höhe des Existenzminimums bzw. in Höhe des Mindestlohns unzulässig.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 131 InsO seien zwar erfüllt, der Mindestlohn könne aber nicht zurückgefordert werden. Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Revision gewandt. Die Beklagte hat Anschlussrevision erhoben und die vollständige Abweisung der Klage verlangt.
Nur die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten ist die Klage in voller Höhe begründet. Eine grundsätzliche Einschränkung der Insolvenzanfechtung ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Schutz des Existenzminimums des Arbeitnehmers wird durch die Pfändungsschutzbestimmungen der Zivilprozessordnung und das Sozialrecht gewährleistet. Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch bezieht sich uneingeschränkt auch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Wurde dieser durch Zahlung erfüllt, enden die Rechtswirkungen des Mindestlohngesetzes. Einen Ausschluss der Anfechtbarkeit oder einen besonderen Vollstreckungsschutz hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/mindestlohn-nicht-gegen-insolvenzanfechtung-gesichert/
III. Corona-Testpflicht für Arbeitnehmer
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Juni 2022 – 5 AZR 28/22
Der Arbeitgeber kann zur Umsetzung der ihn treffenden arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen berechtigt sein, auf Grundlage eines betrieblichen Schutz- und Hygienekonzepts Corona-Tests einseitig anzuordnen.
Die Klägerin war als Flötistin an der Bayerischen Staatsoper mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 8.351,86 Euro beschäftigt. Zu Beginn der Spielzeit 2020/21 hat die Bayerische Staatsoper, nachdem sie zum Schutz der Mitarbeiter vor COVID-19-Erkrankungen bereits bauliche und organisatorische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenbereichs und die Neuregelung von Zu- und Abgängen ergriffen hatte, im Rahmen ihres betrieblichen Hygienekonzepts in Zusammenarbeit u.a. mit dem Institut für Virologie der Technischen Universität München und dem Klinikum rechts der Isar eine Teststrategie entwickelt. Vorgesehen war die Einteilung der Beschäftigten in Risikogruppen und je nach Gruppe die Verpflichtung zur Durchführung von PCR-Tests in unterschiedlichen Zeitabständen. Als Orchestermusikerin sollte die Klägerin zunächst wie alle Mitarbeiter zu Beginn der Spielzeit einen negativen PCR-Test vorlegen und in der Folge weitere PCR-Tests im Abstand von ein bis drei Wochen vornehmen lassen. Die Bayerische Staatsoper bot hierfür kostenlose PCR-Tests an, alternativ konnten die Mitarbeiter PCR-Testbefunde eines von ihnen selbst ausgewählten Anbieters vorlegen. Der Klägerin wurde mitgeteilt, dass sie ohne Testung nicht an Aufführungen und Proben teilnehmen könne. Sie hat sich geweigert, PCR-Tests durchführen zu lassen und insbesondere gemeint, diese seien zu ungenau und stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit dar. Anlasslose Massentests seien unzulässig. Der beklagte Freistaat hat daraufhin in der Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 die Gehaltszahlungen eingestellt. Seit Ende Oktober 2020 legte die Klägerin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht PCR-Testbefunde vor. Mit ihrer Klage hat sie für die Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt, hilfsweise die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens. Weiter verlangt sie, ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 beschäftigt zu werden.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die vom Senat nachträglich zugelassene Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der Arbeitgeber ist nach § 618 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Arbeitsleistungen, die unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass die Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, als die Natur der Arbeitsleistung es gestattet. Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) konkretisieren den Inhalt der Fürsorgepflichten, die dem Arbeitgeber hiernach im Hinblick auf die

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 06-2022
Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer obliegen. Zur Umsetzung arbeitsschutzrechtlicher Maßnahmen kann der Arbeitgeber Weisungen nach § 106 Satz 2 GewO hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb erteilen. Das hierbei zu beachtende billige Ermessen wird im Wesentlichen durch die Vorgaben des ArbSchG konkretisiert.
Hiervon ausgehend war die Anweisung des beklagten Freistaats zur Durchführung von PCR-Tests nach dem betrieblichen Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper rechtmäßig. Die Bayerische Staatsoper hat mit Blick auf die pandemische Verbreitung von SARS-CoV-2 mit diffusem Ansteckungsgeschehen zunächst technische und organisatorische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenraums und Anpassungen bei den aufzuführenden Stücken ergriffen, diese aber als nicht als ausreichend erachtet. Sie hat sodann – auch um den Vorgaben der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen- Verordnung zu genügen – mit wissenschaftlicher Unterstützung durch das Institut für Virologie der Technischen Universität München und das Klinikum rechts der Isar ein Hygienekonzept erarbeitet, das für Personen aus der Gruppe der Orchestermusiker PCR-Tests alle ein bis drei Wochen vorsah. Hierdurch sollte der Spielbetrieb ermöglicht und die Gesundheit der Beschäftigten geschützt werden. Die auf diesem Konzept beruhenden Anweisungen an die Klägerin entsprachen billigem Ermessen iSv. § 106 GewO. Der mit der Durchführung der Tests verbundene minimale Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist verhältnismäßig. Auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung macht die Testanordnung nicht unzulässig, zumal ein positives Testergebnis mit Blick auf die infektionsschutzrechtlichen Meldepflichten und die Kontaktnachverfolgung ohnedies im Betrieb bekannt wird. Da hiernach die arbeitgeberseitige Anweisung zur Umsetzung des betrieblichen Hygienekonzepts rechtmäßig war, hat der Beklagte Freistaat zu Recht eingewandt (§ 297 BGB), dass Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls mit Blick auf den fehlenden Leistungswillen der Klägerin, die die Durchführung von PCR-Tests verweigert hat, nicht bestehen.
Der auf die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens gerichtete Hilfsantrag ist gleichfalls unbegründet. Eine Vergütung dieser Zeiten ist nur geschuldet, soweit sie auf die tarifvertraglich geregelten Dienste – Proben und Aufführungen – bezogen sind. An diesen hat die Klägerin im Streitzeitraum nicht teilgenommen. Der Beschäftigungsantrag, mit dem die Klägerin ihren Einsatz ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 erreichen wollte, ist als Globalantrag schon deshalb unbegründet, weil bereits der für die Zahlungsanträge maßgebliche Zeitraum zeigt, dass wirksame Testanordnungen möglich sind.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/corona-testpflicht-fuer-arbeitnehmer/
IV.
Entschädigung nach dem AGG - Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung – Kündigung
ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21
Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung iSv. § 22 AGG* begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Zu diesen Vorschriften gehört § 168 SGB IX**, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedarf.
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG*** wegen einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung zu zahlen.
Der Kläger war bei dem Beklagten als Hausmeister beschäftigt. Er wurde auf der Grundlage eines zwischen dem Beklagten und der Stadt L. geschlossenen „Vertrags über eine Personalgestellung“ mit Hausmeisterleistungen an einer Grundschule beschäftigt. Seit dem 11. Februar 2018 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Hierüber wurden Mitarbeiter des Beklagten am 12. Februar 2018 durch die spätere vorläufige Betreuerin des Klägers telefonisch in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 kündigte die Stadt L. den og. „Vertrag über eine Personalgestellung“. Ende März/Anfang April 2018 kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis unter Hinweis darauf, dass der Vertrag zwischen ihm und der Stadt L. ende. Der Kläger wandte sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses; das Verfahren wurde durch einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht erledigt.

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 06-2022
Seine auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichtete Klage stützt der Kläger darauf, der Beklagte habe ihn wegen seiner (Schwer)Behinderung benachteiligt. Dies ergebe sich ua. daraus, dass der Beklagte bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegen Vorschriften verstoßen habe, die Verfahrens- bzw. Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthielten. Insbesondere habe er nicht ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts kündigen dürfen. Zwar habe zum Kündigungszeitpunkt noch kein Nachweis seiner Schwerbehinderung durch eine behördliche Feststellung vorgelegen, auch sei ein Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch noch nicht gestellt gewesen, allerdings sei seine Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung offenkundig gewesen. Er habe am 11. Februar 2018 einen Schlaganfall erlitten und mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation gelegen. Dies sei dem Beklagten am 12. Februar 2018 mitgeteilt worden. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.
Der Kläger hat – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat – keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Der Kläger, der durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG erfahren hat, hat nicht dargelegt, dass die Benachteiligung wegen seiner (Schwer)Behinderung erfolgte. Zwar kann der Verstoß des Arbeitgebers gegen § 168 SGB IX im Einzelfall die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung iSv. § 22 AGG begründen, dass die Schwerbehinderung (mit)ursächlich für die Benachteiligung war. Allerdings hat der Kläger einen Verstoß des Beklagten gegen diese Bestimmung nicht schlüssig dargetan. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass der Kläger am 11. Februar 2018 einen Schlaganfall erlitten und noch am 12. Februar 2018 mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation behandelt wurde, lägen keine Umstände vor, nach denen im Zeitpunkt der Kündigung durch den Beklagten von einer offenkundigen Schwerbehinderung auszugehen war. Auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass der Kläger auch keine anderen Indizien iSv. § 22 AGG für eine Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung dargetan hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/entschaedigung-nach-dem-agg-benachteiligung-wegen-der-schwerbehinderung- kuendi
V.
Erforderlichkeit der Übermittlung der Anzahl und Namen von schwerbehinderten/gleichgestellten Menschen an den Betriebsrat im Rahmen des § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG - Reichweite der zu gewährleistenden Datensicherheit durch den Betriebsrat bei sensitiven Daten im Sinne des § 26 Abs. 3 BDSG, Artikel 9 Abs. 1 DSGVO Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.5.2022, 12 TaBV 4/21
1. Der nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG erforderliche Aufgabenbezug des Auskunftsbegehrens des Betriebsrates bezogen auf die Anzahl und Namen der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten/diesen gleichgestellten Menschen kann sich aus der geplanten Einberufung einer Wahlversammlung durch den Betriebsrat zur Wahl eines Wahlvorstandes im Vorfeld der geplanten Wahl einer Schwerbehindertenvertretung ergeben (vgl. auch §§ 176, 177 SGB IX, § 1 Abs. 2 S. 1 SchbVWO)
2. Der erforderliche Aufgabenbezug kann sich ferner auch aus § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, § 176 SGB IX aufgrund der gesetzlich statuierten Überwachungs- und aktiven Förderungspflicht schwerbehinderter Menschen vorgelagert zur Ermittlung des Bedürfnisses/der Reichweite von Unterstützungsmaßnahmen ergeben. Es ist hierbei nicht erforderlich, dass der Betriebsrat konkret eine bestimmte spezifische bereits geplante Maßnahme darlegt.
3. Der Betriebsrat hat bei einem Auskunftsbegehren nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG, soweit sich dieses auf sensitive Daten im Sinne des Artikel 9 Abs. 1 DSGVO bezieht, die ausreichende Gewährleistung angemessener und spezifischer Schutzmaßnahmen darzulegen, wobei dabei ein ausreichendes Schutzkonzept darzulegen ist und die entsprechenden Einzelmaßnahmen einem Spielraum des Betriebsrates unterliegen. Im Übrigen ergibt sich allgemein auch aus § 79a BetrVG eine Verantwortlichkeit des Betriebsrates für die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz.
Siehe:

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 06-2022
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&nr=37924&pos =0&anz=18
VI.
Außerordentliche Kündigung - beharrliche Arbeitsverweigerung - Personalgespräch - Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO - billiges Ermessen - verfassungsrechtlich geschützte Belange - subjektives Recht auf Home-Office - Betriebsratsanhörung - Abmahnung - zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff
Arbeitsgericht Heilbronn, Urteil vom 23.3.2022, 2 Ca 14/22
1. Begehrt die klagende Partei die Entfernung einer oder mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte, ist im Hinblick auf den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff durch das Gericht festzustellen, ob die klagende Partei den vermeintlichen Entfernungsanspruch auf die §§ 242, 1004 BGB analog oder auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO stützt. Die Anspruchsgrundlagen setzen unterschiedlichen Tatsachenvortrag betreffend den jeweiligen Lebenssachverhalt voraus, wodurch eine Mehrheit von Streitgegenständen vorliegt.
2. Eine beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies gilt auch für den Fall, dass sich der Arbeitnehmer weigert, zu einem durch den Arbeitgeber angeordneten einmaligen Personalgespräch im Betrieb zu erscheinen, denn ein solches Gespräch kann im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB der Erhaltung und Verwirklichung der im Arbeitsverhältnis bestehenden Hauptleistungspflichten dienen. Die Einladung zu einem solchen Gespräch ist grundsätzlich vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 Satz 1 GewO gedeckt. Dem Arbeitgeber kommt diesbezüglich eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Einschätzungsprärogative zu.
3. Im Rahmen des billigen Ermessens gemäß § 106 Satz 1 GewO sind im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützten Belange des Arbeitnehmers auch die Auswirkungen der COVID-19- Pandemie zu beachten. Der allgemeine Hinweis auf ein mögliches Infektionsrisiko und die Auswirkungen einer Quarantäne können das Direktionsrecht des Arbeitgebers allerdings nicht einschränken. Dies gilt insbesondere, wenn die Arbeitsleistung bereits aus dem Home-Office heraus erbracht wird und der Arbeitgeber nur zu einem einmaligen Personalgespräch im Betrieb auffordert.
4. § 28b Abs. 4 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 24.11.2021 begründet kein subjektives Recht des Arbeitnehmers auf „Home-Office“.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&nr=37912&pos =4&anz=18
VII.
Einigungsstelle - offensichtliche Unzuständigkeit - Interessenausgleich - Sozialplan - Betriebsteil - Einschränkung - Stilllegung - Spaltung – Betriebsteilübergang
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 9.3.2022, 19 TaBV 1/22
1. Die nach § 112 Abs. 2 BetrVG für den Versuch eines Interessenausgleichs einzusetzende Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig (§ 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG), wenn der Unternehmer eine Einschränkung oder Stilllegung eines Betriebsteils durch den Ausspruch von Kündigungen bereits durchgeführt hat; er hat damit vollendete Tatsachen geschaffen, die er nicht mehr einseitig rückgängig machen kann.
2. Die für den Abschluss eines Sozialplans nach den §§ 112 Abs. 2, Abs. 4 i.V. mit 111 BetrVG einzusetzende Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig, wenn von der Stilllegung (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG) kein wesentlicher Betriebsteil betroffen ist. Das richtet sich bei einem Personalabbau danach, ob hinsichtlich des Betriebsteils die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht werden.
3. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle liegt auch dann vor, wenn ein in diesem Sinne wesentlicher Betriebsteil nicht stillgelegt, sondern nur eingeschränkt wird und der Personalabbau selbst die Zahlengrößen des § 17 Abs. 1 KSchG bezogen auf den Betrieb nicht erreicht.

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 06-2022
4. Ein Fall der offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle liegt aber nicht vor, wenn der Unternehmer ursprünglich beabsichtigte, den Betriebsteil auf ein anderes Unternehmen zu übertragen, wodurch die Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung und zu unveränderten Arbeitsbedingungen übergehen sollten, er sich dann aber entschließt, sämtliche Arbeitsverhältnisse insbesondere durch Kündigungen zu beenden und das andere Unternehmen den betroffenen Arbeitskräften neue Arbeitsverträge anbietet. Nimmt ein nach Zahl- und Sachkunde wesentlicher Teil des Personals das Vertragsangebot an, kann jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, dass eine Spaltung in Verbindung mit einem Betriebsteilübergang vorliegt (§ 111 Satz 3 Alternative 2 BetrVG).
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&nr=37633&pos =5&anz=18
VIII. Zahlungsklagen
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 02.05.2022, 15 Sa 885/21
1. Der Arbeitnehmer muss sich den ihm während des Kündigungsschutzrechtsstreits von einem anderen Arbeitgeber gewährten Urlaub auf seine Urlaubsansprüche gegen den alten Arbeitgeber in entsprechender Anwendung der §§ 615 S. 2 BGB, 11 KSchG anrechnen lassen, wenn er die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig hätte erfüllen können. Das gilt auch für den vertraglich vereinbarten Urlaub der den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt.
2. Auch bei der Anrechnung des Urlaubs ist eine Gesamtberechnung anhand der im gesamten Anrechnungszeitraum gewährten Urlaubs vorzunehmen.
Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE220029238&st=ent&doctyp=juris- r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint
IX.
Elternzeit - Urlaubsanspruch - Kürzungserklärung des Arbeitgebers – Zeitpunkt
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 17.05.2022, 10 Sa 954/21
1. Die Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD enthält oder ersetzt nicht die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG erforderliche Erklärung des Arbeitgebers, den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. Dem stehen die auch durch Tarifvertrag nicht abdingbaren Regelungen gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG entgegen.
2. Auch soweit der Urlaubsanspruch den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, enthält oder ersetzt § 26 Abs. 2c TVöD nicht die Kürzungserklärung des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG.
3. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht vor, während und nach dem Ende der Elternzeit ausüben, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.
Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE220028597&st=ent&doctyp=juris- r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint
X.
Betriebsbedingte Kündigung - Fluggesellschaft - Betriebsübergang - Massenentlassung – Massenentlassungsanzeige
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2022, 4 Sa 540/21
1. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer iSv. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.
2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 06-2022
3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten iSv. § 613a BGB bilden.
4. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.
5. Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Düsseldorf 17.11.2021 - 4 Sa 303/21.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2022/NRWE_LAG_D_sseldorf_4_Sa_540_21_Urteil_2022041 3.html
XI.
Anerkenntnisurteil, Hilfsantrag, Klageantrag, Rechtshängigkeit, Weiterbeschäftigungsantrag Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 22.03.2022, 14 Sa 1571/21
Wird in der Klageschrift der Antrag auf Weiterbeschäftigung nicht nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage, sondern zusätzlich unter den Vorbehalt gestellt, dass der Arbeitgeber nicht bis zum Gütetermin zu Protokoll des Gerichts erklärt, den Arbeitnehmer im Falle eines der Klage stattgebenden Urteils weiter zu beschäftigen, hat der Kläger lediglich eine entsprechende Klageerweiterung angekündigt, aber nicht rechtshängig gemacht.
In einem solchen Fall kann bei einem Anerkenntnis des Arbeitgebers über einen solchen Antrag kein Anerkenntnisurteil ergehen.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2022/14_Sa_1571_21_Urteil_20220322.html
XII.
Honorararzt - Praxisvertretung – Arbeitnehmereigenschaft Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 6.05.2022, 9 Ta 18/22
Zur Arbeitnehmereigenschaft eines "freiberuflich" angestellten Praxisvertreters, der selbst die Steuern und Sozialbeiträge abführen sollte (hier bejaht).
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2022/9_T a_18_22_Beschluss_20220506.html
XIII.
Anwesenheitsprämie - Mitbestimmung – Einigungsstelle Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 20.05.2022, 9 TaBV 19/22
Die Einigungsstelle ist für die Einführung und Ausgestaltung einer Anwesenheitsprämie nicht offensichtlich unzuständig iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, auch wenn der Betriebsrat die Einführung einer Anwesenheitsprämie generell abgelehnt hatte. Dann ist es dem Arbeitgeber zwar verwehrt, ohne die Beteiligung des Betriebsrats Regelungen zu einer Anwesenheitsprämie zu treffen. Er kann jedoch die Einigungsstelle in der Hoffnung anrufen, diese werde seinen Vorstellungen ganz oder wenigstens teilweise entsprechen.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2022/9_T aBV_19_22_Beschluss_20220520.html
XIV.
Rückumschlag ohne Absenderangaben - Vertrauensperson für Schwerbehinderte – Wahlanfechtung
Landesarbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 03.05.2022 – 7 TaBV 1697/21
Die Wahl zur Vertrauensperson für Schwerbehinderte ist anfechtbar, wenn bei der schriftlichen Stimmabgabe die Rückumschläge nicht mit Absenderangaben versehen sind (§11 Abs.1 Nr.4 SchwbVWO) und dies Auswirkungen auf das Ergebnis haben kann.
Siehe:

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 06-2022
https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE220028888
XV.
Angebot Maskenpflicht – Annahmeverzug Landesarbeitsgericht Berlin, Urteil vom 26.04.2022 – 7 Sa 106/22
1. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers nach §106 GewO beinhaltet auch die Anordnung in bestimmten Situationen zum Gesundheitsschutz Masken zu tragen.
2. Im Vergütungsprozess ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass es ihm aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist, eine Maske zu tragen. Ein ärztliches Attest erbringt keinen Anscheinsbeweis.
Siehe:
https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE220028861
Mit besten Grüßen Ihr
Michael Henn Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht Fachanwalt für Arbeitsrecht VDAA – Präsident
VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V. Kronprinzstr. 14
70173 Stuttgart
Telefon: (0711) 3058 9320
Telefax: (0711) 3058 9311 Email: info@vdaa.de www.vdaa.de
 
«  zurück