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Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart




I.
Ausbildungsvergütung - Kürzung bei Teilzeit
Bundesarbeitsgericht ´, Urteil vom 1. Dezember 2020, Az. 9 AZR 104/20

Eine tarifliche Regelung, nach der sich die Ausbildungsvergütung von Auszubildenden in Teilzeit entsprechend der Anzahl wöchentlicher Ausbildungsstunden vergleichbarer Auszubildender in Vollzeit berechnet, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

Die Klägerin absolviert seit dem 1. September 2017 bei der beklagten Stadt eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten mit einer gegenüber Vollzeitauszubildenden von 39 Stunden auf 30 Stunden verkürzten wöchentlichen Ausbildungszeit. Auf das Ausbildungsverhältnis findet aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes vom 13. September 2005 in der für den Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände geltenden Fassung (TVAöD) Anwendung. Die Beklagte zahlte an die Klägerin entsprechend der verkürzten wöchentlichen Ausbildungszeit in den Monaten November 2017 bis einschließlich Februar 2019 eine im Vergleich zu Auszubildenden in Vollzeit gekürzte monatliche Ausbildungsvergütung, die im ersten Ausbildungsjahr 706,35 Euro brutto betrug. Für drei Monate je Ausbildungsjahr, in denen die Klägerin - ebenso wie Auszubildende in Vollzeit - blockweise im Umfang von wöchentlich 28 Unterrichtsstunden am Berufsschulunterricht teilnahm und von der betrieblichen Ausbildung freigestellt war, zahlte die Beklagte die Ausbildungsvergütung entsprechend ihrer Teilzeit fort.

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Differenz zur Vergütung eines Auszubildenden in Vollzeit. Sie hat die Auffassung vertreten, der TVAöD sehe bei Verringerung der wöchentlichen Ausbildungszeit keine Kürzung der Ausbildungsvergütung vor. Die an sie gezahlte Vergütung sei zudem unangemessen niedrig. Durch die Kürzung der Ausbildungsvergütung werde sie gegenüber Vollzeitauszubildenden benachteiligt, die während des Blockunterrichts in der Berufsschule bei gleicher Unterrichtszeit die volle Ausbildungsvergütung erhielten. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung der von der Klägerin verlangten Differenzvergütung verurteilt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zu.

Teilzeitauszubildenden ist nach den Regelungen des TVAöD eine Ausbildungsvergütung nur in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil ihrer Ausbildungszeit an der eines vergleichbaren Auszubildenden in Vollzeit entspricht. Nach § 8 Abs. 1 iVm. § 7 Abs. 1 Satz 1 des Besonderen Teils des TVAöD (TVAöD - BT) ist die Höhe der Ausbildungsvergütung in Abhängigkeit von der Anzahl der wöchentlichen Ausbildungsstunden zu bestimmen. An Auszubildende, deren Berufsausbildung in Teilzeit durchgeführt wird, ist danach eine Ausbildungsvergütung zu zahlen, die dem Anteil ihrer Ausbildungszeit an der eines vergleichbaren Auszubildenden in Vollzeit entspricht. Dies steht im Einklang mit § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG aF. Bei der Ermittlung der Höhe der Ausbildungsvergütung bleiben Zeiten des Berufsschulunterrichts außer Betracht. Sind Auszubildende von der betrieblichen Ausbildung freigestellt, um ihnen die Teilnahme am Berufsschulunterricht zu ermöglichen, besteht nach § 8 Abs. 4 TVAöD - BT - entsprechend der Regelung in §§ 15, 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG aF - allein ein Anspruch auf Fortzahlung der Ausbildungsvergütung.

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2020&nr=24719&pos=0&anz=44&titel=Ausbildungsverg%FCtung_-_K%FCrzung_bei_Teilzeit
II.
Arbeitnehmereigenschaft von „Crowdworkern“
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Dezember 2020, Az. 9 AZR 102/20

Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmenvereinbarung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.

Die Beklagte kontrolliert im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Kontrolltätigkeiten selbst lässt sie durch Crowdworker ausführen. Deren Aufgabe besteht insbesondere darin, Fotos von der Warenpräsentation anzufertigen und Fragen zur Werbung von Produkten zu beantworten. Auf der Grundlage einer „Basis-Vereinbarung“ und allgemeiner Geschäftsbedingungen bietet die Beklagte die „Mikrojobs“ über eine Online-Plattform an. Über einen persönlich eingerichteten Account kann jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernimmt der Crowdworker einen Auftrag, muss er diesen regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben des Crowdsourcers erledigen. Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge.

Der Kläger führte für die Beklagte zuletzt in einem Zeitraum von elf Monaten 2978 Aufträge aus, bevor sie im Februar 2018 mitteilte, ihm zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten keine weiteren Aufträge mehr anzubieten. Mit seiner Klage hat er zunächst beantragt festzustellen, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Im Verlauf des Rechtsstreits kündigte die Beklagte am 24. Juni 2019 ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis vorsorglich. Daraufhin hat der Kläger seine Klage, mit der er außerdem ua. Vergütungsansprüche verfolgt, um einen Kündigungsschutzantrag erweitert. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Sie haben das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses der Parteien verneint.

Die Revision des Klägers hatte teilweise Erfolg. Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat erkannt, dass der Kläger im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung vom 24. Juni 2019 in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten stand.

Die Arbeitnehmereigenschaft hängt nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände kann ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind. Für ein Arbeitsverhältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. So liegt der entschiedene Fall. Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet. Die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform war aber darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.

Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Revision des Klägers gleichwohl überwiegend zurückgewiesen, da die vorsorglich erklärte Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam beendet hat. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche wurde der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Kläger kann nicht ohne weiteres Vergütungszahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet ist die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das Landesarbeitsgericht aufzuklären hat.

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2020&nr=24710&pos=1&anz=44&titel=Arbeitnehmereigenschaft_von_%84Crowdworkern%93

III.
Versorgungszusage - Störung der Geschäftsgrundlage
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Dezember 2020, Az. 3 AZR 64/19

Die Änderung von bilanzrechtlichen Bestimmungen rechtfertigt nicht die Anpassung von Versorgungsregelungen wegen Störung der Geschäftsgrundlage.

Der verstorbene Ehemann der Klägerin war bei der Beklagten in leitender Position beschäftigt. Ihm war im Jahr 1976 eine Ruhegehaltszusage erteilt worden, die auch eine Hinterbliebenenversorgung umfasste. Diese enthielt eine Anpassungsregel, nach der die Versorgungsbezüge entsprechend der Entwicklung der maßgeblichen Tarifgehälter anzupassen sind. Die Beklagte gab die jeweiligen tariflichen Gehaltserhöhungen bis 2016 an die Klägerin als Bezieherin einer Witwenrente vereinbarungsgemäß weiter. Im Juli 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie berufe sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB und werde die Anpassungsverpflichtung aus der Ruhegehaltszusage künftig nicht mehr wie bisher erfüllen. Erhöhungen der Witwenrente würden nur noch nach § 16 BetrAVG vorgenommen werden. Grund für die Störung der Geschäftsgrundlage seien erheblich erhöhte Rückstellungen, die sie nach Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes 2010 (BilMoG) in ihrer Handelsbilanz aufgrund erheblich gestiegener Barwerte der Versorgungszusagen - auch der streitgegenständlichen Zusage - einzustellen habe. Die Klägerin meint, die Beklagte sei weiterhin uneingeschränkt an die Anpassungsregelung in der Ruhegeldzusage gebunden und verlangt von der Beklagten die Zahlung der Differenzbeträge für den Zeitraum Juli 2016 bis März 2017. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zwar ist es grundsätzlich möglich, die Anpassung von Versorgungsregelungen auf die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu stützen. Vorliegend waren die Voraussetzungen hierfür jedoch nicht erfüllt. Geschäftsgrundlage sind die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, wenn der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut. Dem steht die Vorstellung einer der Parteien gleich, sofern sie für die andere Partei erkennbar war und nicht von ihr beanstandet wurde. Die Beklagte hat sich nicht auf solche Vorstellungen berufen, sondern die vermeintliche Verteuerung der Witwenrente auf Umstände gestützt, die - unverändert - Inhalt der Versorgungszusage sind. Soweit die Beklagte den Anstieg ihrer bilanziellen Rückstellungen aufgrund angeblich wegen der Änderung des Bilanzrechts gestiegener Barwerte angeführt hat, konnte sie damit ebenfalls nicht durchdringen. Nach der handelsrechtlichen Konzeption handelt es sich bei Rückstellungen im Wesentlichen um ein Instrument der Innenfinanzierung. Dies hat zwar Auswirkungen auf den bilanziellen Gewinn bzw. Verlust eines Unternehmens. Allerdings berechtigt ein schlechterer wirtschaftlicher Verlauf des Geschäftsjahrs nicht zum Widerruf von laufenden Betriebsrenten und somit auch nicht zur Änderung einer Anpassungsregelung. Denn nicht einmal eine wirtschaftliche Notlage kann nach den gesetzlichen Wertungen des Betriebsrentengesetzes einen Widerruf von Versorgungszusagen begründen. In so einem Fall eine Störung der Geschäftsgrundlage anzunehmen, widerspräche der gesetzlichen Risikoverteilung.

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2020&nr=24737&pos=0&anz=45&titel=Versorgungszusage_-_St%F6rung_der_Gesch%E4ftsgrundlage

IV.
Halbierter Nachtarbeitszuschlag für Schichtarbeit
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Dezember 2020, Az. 10 AZR 334/20

Eine Regelung in einem Tarifvertrag, nach der sich der Zuschlag für Nachtarbeit halbiert, wenn sie innerhalb eines Schichtsystems geleistet wird, kann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

Die Beklagte betreibt eine Brauerei in Hamburg. Der Kläger leistet dort Schichtarbeit. Nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Brauereien und deren Niederlassungen in Hamburg und Schleswig-Holstein ist für Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr ein Zuschlag von 25 % zum Stundenentgelt zu zahlen. Für Nachtarbeit, die in demselben Zeitraum außerhalb eines Schichtsystems erbracht wird, sieht der Tarifvertrag einen Zuschlag von 50 % vor. Der Kläger meint, die Halbierung des Zuschlags für Nachtschichtarbeit widerspreche den gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen. Danach gehen von regelmäßiger Nachtschichtarbeit erheblich gravierendere Gesundheitsgefahren aus als von gelegentlich geleisteter Nachtarbeit. Mit seiner Klage will der Kläger festgestellt wissen, dass die Beklagte den Zuschlag von 50 % auch für die Nachtschicht zu zahlen hat. Die Beklagte hält die Tarifnorm für wirksam. Der höhere Zuschlag solle eine besondere Belastung der unvorbereitet zu Nachtarbeit herangezogenen Arbeitnehmer ausgleichen. Sie büßten die Dispositionsmöglichkeit über ihre Freizeit in der entsprechenden Nacht ein.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Nachtarbeitnehmer und Nachtschichtarbeitnehmer sind nach Auffassung des Senats miteinander vergleichbar. Nach dem Manteltarifvertrag ist bei der Durchführung von Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen. Der höhere Zuschlag für Nachtarbeitnehmer kann daher nicht den Zweck haben, ihre Freizeit vor Eingriffen durch den Arbeitgeber zu schützen. Andere sachliche Gründe, die die schlechtere Behandlung der Nachtschichtarbeitnehmer rechtfertigen könnten, lassen sich dem Manteltarifvertrag nicht entnehmen. Der Kläger kann den höheren Zuschlag verlangen, um mit den nicht regelmäßig nachts Arbeitenden gleichbehandelt zu werden (sog. Anpassung nach oben).

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2020&nr=24746&pos=0&anz=47&titel=Halbierter_Nachtarbeitszuschlag_f%FCr_Schichtarbeit

V.
Verschieden hohe Zuschläge bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2020, Az. 10 AZR 332/20 (A)

Tarifvertragliche Regelungen, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vorsehen als für regelmäßige Nachtarbeit, werfen Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht auf. Diese Fragen müssen durch ein Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, das der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union richtet.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist der Manteltarifvertrag der Erfrischungsgetränke-Industrie* anzuwenden. Der Tarifvertrag regelt, dass der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % der Stundenvergütung beträgt. Die Klägerin leistete Nachtarbeit in einem Schichtmodell und erhielt dafür einen Zuschlag von 20 %. Sie ist der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung bestehe nicht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union, Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht zu beantworten. Führen tarifvertragliche Regelungen die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG im Sinn von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) durch, wenn sie unterschiedlich hohe Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit enthalten? Ist eine tarifvertragliche Regelung gleichbehandlungswidrig nach Art. 20 der Charta, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht, wenn damit neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Nachtarbeit auch Belastungen wegen der schlechteren Planbarkeit der Arbeitszeit ausgeglichen werden sollen?**

Diese Fragen stellen sich auch für eine große Zahl von anderen Tarifverträgen.

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2020&nr=24749&pos=1&anz=47&titel=Verschieden_hohe_Zuschl%E4ge_bei_regelm%E4%DFiger_und_unregelm%E4%DFiger_Nachtarbeit

VI.
Vergütung von Leiharbeitnehmern
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16. Dezember 2020, Az. 5 AZR 143/19 (A)

Zur Klärung von Fragen im Zusammenhang mit der Abweichung vom Grundsatz der Gleichstellung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern durch Tarifvertrag hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.

Die Klägerin, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), war von April 2016 bis April 2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Sie war einem Unternehmen des Einzelhandels für dessen Auslieferungslager als Kommissioniererin überlassen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt einen Stundenlohn von 9,23 Euro brutto.

Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ e.V.), dessen Mitglied die Beklagte ist, hat mit mehreren Gewerkschaften des DGB - darunter ver.di - Mantel-, Entgeltrahmen- und Entgelttarifverträge geschlossen, die eine Abweichung von dem in § 8 Abs. 1 AÜG verankerten Grundsatz der Gleichstellung vorsehen, insbesondere auch eine geringere Vergütung als diejenige, die Stammarbeitnehmer im Entleihbetrieb erhalten.

Die Klägerin meint, diese Tarifverträge seien mit Unionsrecht (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG) nicht vereinbar. Mit ihrer Klage hat sie für den Zeitraum Januar bis April 2017 Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des Equal Pay verlangt und vorgetragen, vergleichbare Stammarbeitnehmer bei der Entleiherin würden nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vergütet und hätten im Streitzeitraum einen Stundenlohn von 13,64 Euro brutto erhalten. Die Beklagte ist dagegen der Auffassung, aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit schulde sie nur die für Leiharbeitnehmer vorgesehene tarifliche Vergütung, Unionsrecht sei nicht verletzt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG sieht vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Grundsatz der Gleichbehandlung). Allerdings gestattet Art. 5 Abs. 3 der genannten Richtlinie den Mitgliedsstaaten, den Sozialpartnern die Möglichkeit einzuräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen. Eine Definition des „Gesamtschutzes“ enthält die Richtlinie nicht, sein Inhalt und die Voraussetzungen für seine „Achtung“ sind im Schrifttum umstritten. Zur Klärung der im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG verlangten Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern aufgeworfenen Fragen hat der Senat entsprechend seiner Verpflichtung aus Art. 267 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung ersucht.

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2020&nr=24764&pos=0&anz=48&titel=Verg%FCtung_von_Leiharbeitnehmern

VII.
Anscheinsbeweis - Auslieferungsbeleg - Einwurf-Einschreiben - Kündigungsschreiben - Sendungsstatus – Zugang
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.2020, Az. 3 Sa 38/19

Der Sendungsstatus eines Einwurf-Einschreibens ist vom Auslieferungsbeleg zu unterscheiden. Aus dem Sendungsstatus geht nicht der Name des Zustellers hervor und er beinhaltet auch keine technische Reproduktion einer Unterschrift des Zustellers. Die Aussagekraft des Sendungsstatus reicht nicht aus, um auf ihn den Anscheinsbeweis des Zugangs der Postsendung zu gründen.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=1&nr=33170&pos=11&anz=50

VIII.
Anfechtung Betriebsratswahl - Anfechtungsbefugnis - Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses - Betriebsbegriff - räumlich weit entfernte Betriebsteile - nichtiger Zuordnungsbeschluss - Bestätigung - Kausalität des Wahlfehlers
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.10.2020, 17 TaBV 3/19

1. Wird die Wahlanfechtung neben einem allein noch betriebszugehörigen Antragsteller von zumindest zwei weiteren, im Zeitpunkt der Wahl wahlberechtigten, antragstellenden Arbeitnehmern getragen, gerät die Anfechtungsbefugnis nicht in Wegfall.

2. Für die Frage, ob ein Betriebsteil iSd. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG vom Hauptbetrieb räumlich weit entfernt ist, kommt es allein auf die physische Erreichbarkeit und damit auf die Qualität der Verkehrsverbindung und die konkreten Betreuungsmöglichkeiten, nicht aber auf die Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel an.

3. Vor dem Inkrafttreten des § 4 Abs. 1 Satz 2 bis 5 BetrVG 2001 zum 28. Juli 2001 gefasste Zuordnungsbeschlüsse sind, soweit diese nicht nach dem 15. Januar 1972 gefasst und in einem wirksamen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG 1972 mit Zustimmung der obersten Arbeitsbehörde ermöglicht sind, nach § 134 BGB nichtig. Der etwaigen Bestätigung eines solch nichtigen Beschlusses kommt nach § 141 BGB keine rückwirkende Wirkung (ex tunc) zu.

4. Die Verkennung des Betriebsbegriffs beeinflusst das Wahlergebnis in jedem Fall und führt daher ohne weiteres zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG. Wird unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 BetrVG ein einheitlicher Betriebsrat statt mehrerer Betriebsratsgremien gewählt, wird das Recht der Arbeitnehmer des als selbständig geltenden Betriebsteils auf eine eigens für sie zuständige Betriebsvertretung beschnitten.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=33041&pos=3&anz=50

IX.
Ausschlussfrist - Schadensersatzanspruch wegen falscher bzw. unvollständiger Auskunft zu steuerrechtlichen Fragen - Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 5.11.2020, 17 Sa 12/20

1. Erteilt ein Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages, der die Zahlung einer Abfindung vorsieht, überobligatorisch eine falsche oder unvollständige Auskunft auf eine Frage des Arbeitnehmers zu steuerrechtlichen Aspekten der Abfindungszahlung, haftet er nach § 280 Abs. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB für den durch die schuldhaft erteilte fehlerhafte Auskunft entstandenen Schaden.

2. Hinsichtlich der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden trägt der den Arbeitgeber in Anspruch nehmende Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Der Grundsatz, dass eine richtig informierte Partei sich interessengerecht verhält (Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens), greift zugunsten des Arbeitnehmers nicht ein, wenn es vernünftigerweise nicht nur eine, sondern mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens gab. Soweit der Bundesgerichtshof die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens bei der Verletzung von Aufklärungspflichten bei Kapitalanlagen auch dann anwendet, wenn mehr als eine Handlungsalternative bestanden hat, ist diese Rechtsprechung auf von Arbeitgebern erteilte Auskünfte zu steuerrechtlichen Fragen nicht zu übertragen.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=33179&pos=0&anz=50

X.
Anwendbarkeit Kündigungsschutzgesetz - Gemeinschaftlicher Betrieb – Maßregelungsverbot
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 30.10.2020, 12 Sa 33/20

1. Zu den Voraussetzungen eines gemeinschaftlichen Betriebs zweier Unternehmen.

2. Der Umstand, dass die Servicetechniker zweier Unternehmen Kunden des jeweils anderen Unternehmens besuchen, begründet keinen gemeinschaftlichen Betrieb der beiden Unternehmen, wenn die Servicetechniker jeweils im eigenen Unternehmen disponiert werden, ihr Einsatz also nicht zentral gelenkt wird.

3. Eine unzulässige Maßregelung i.S. des § 612a BGB setzt eine Rechtsausübung des Arbeitnehmers voraus. Der Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit ist ein organisches und/oder psychisches Geschehen, keine Rechtsausübung.

4. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Arbeitsausfalls in Folge Arbeitsunfähigkeit stellt keine unzulässige Maßregelung i.S. des § 612a BGB dar.

5. Die Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte, weil diese unrichtig, unbestimmt oder unverhältnismäßig sei (Entfernungsanspruch nach §§ 242 und 1004 Abs. 1 BGB), hat wegen des unterschiedlichen Lebenssachverhalts einen anderen Streitgegenstand als die Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus datenschutzrechtlichen Gründen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Löschungsanspruch nach Art. 17 Abs. 1(a) DS-GVO).

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=33161&pos=1&anz=50

XI.
Nachtarbeitszuschlag – Gleichheitssatz
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 22.10.2020, Az. 16 Sa 323/20

1. Die Differenzierung zwischen Nachtarbeit in der Zeit von 21:00 Uhr bis 5:00 Uhr, die keine Schichtarbeit ist (50 %) und Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr fällt (25 %) bei der Zuschlagshöhe im Manteltarifvertrag für die Erfrischungsgetränke-Industrie Niedersachsen/Bremen vom 10.03.1998 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sie hält sich im Rahmen der den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Einschätzungsprärogative.

2. Eine Differenzierung bei der Höhe von Nachtzuschlägen ist nicht in jedem Fall gleichheitswidrig. Praktische Konkordanz zwischen der Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG und den Gleichheitsrechten der Normunterworfenen (Art. 3 Abs. 1 GG) ist für jede tarifvertragliche Regelung, die unterschiedliche Zuschläge für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit vorsieht, gesondert herzustellen.

Siehe:
https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE200016259&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XII.
Gegenstandswert - Vergleichsmehrwert - Nichtberücksichtigung von zur Aufrechnung gestellter Forderung
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.11.2020, Az. 26 Ta (Kost) 6081/20

1. Die Bestimmung des § 31b RVG zum Gegenstandswert bei Zahlungsvereinbarungen betrifft den Fall, dass die unter anwaltlicher Mitwirkung erzielte Einigung ausschließlich eine Zahlungsvereinbarung im Sinne der Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VV RVG zum Gegenstand hat (so auch Schleswig-Holsteinisches OLG 14. November 2018 – 9 W 162/18, Rn. 4 f, mwN, auch zur Entstehungsgeschichte der Norm).

2. Wird eine Forderung unbedingt zur Aufrechnung gestellt, steht das ihrer Berücksichtigung bei der Gegenstandswertbemessung entgegen, § 45 Abs. 3 GKG. Zwar wird in einem solchen Fall uU über zwei Forderungen entschieden. Wirtschaftlich geht der Streit der Parteien aber nur über einen Betrag, der die Höhe der Klageforderung nicht übersteigt (vgl. BGH 14. Juli 1999 – VIII ZR 70/99, Rn. 4).

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/f19/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200017216&documentnumber=1&numberofresults=1302&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XIII.
Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit - Beschleunigungsgrundsatz – Kündigungsschutzverfahren
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.11.2020, Az. 21 Ta 1223/20

1. Eine Aussetzung nach § 148 Absatz 1 ZPO kommt in der Regel erst in Betracht, wenn das Verfahren "ausgeschrieben" ist.

2. Bei Ermessensfehlern ist das Beschwerdegericht auf die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt, es sei denn, das Ermessen ist auf Null reduziert.

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/f19/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200017215&documentnumber=2&numberofresults=1302&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XIV.
Gegenstandswert bei wirtschaftlicher Identität - Bestandsstreitigkeit - Annahmeverzugsvergütung – Klagehäufung
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.11.2020, Az. 26 Ta (Kost) 6108/20

1. Wendet sich die klagende Partei in einem Rechtsstreit gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und macht sie zudem im Wege der objektiven Klagehäufung Ansprüche auf Vergütungsbestandteile geltend, deren Bestand von dem streitigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängt, besteht nach dem streitigen Beendigungszeitpunkt wirtschaftliche Identität zwischen der Bestandsstreitigkeit und dem Streit über die Annahmeverzugsvergütung.

2. Der Leistungsantrag betrifft die wirtschaftliche Folge des Feststellungsantrags, was einer Wertaddition entgegensteht (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG); entscheidend ist der Wert des höheren Betrags (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 1. Februar 2019 - 17 Ta (Kost) 6143/18, zu 1. der Gründe mwN; 9. November 2020 - 26 Ta (Kost) 6086/20, zu II 1 a der Gründe).

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/f19/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200016452&documentnumber=3&numberofresults=1302&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XV.
PKH-Gebühren für anwaltliche Tätigkeiten nach Urteilsverkündung
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.11.2020, Az. 26 Ta (Kost) 6047/20

1. Sind ab dem Zeitpunkt der Bewilligung von Prozesskostenhilfe weder eine Klage oder ein Schriftsatz, der Sachanträge, Sachvortrag, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme eines Antrags enthält, eingereicht und ist auch ein gerichtlicher Termin nicht wahrgenommen worden, ist eine 1,3 Verfahrensgebühr nicht verdient, wie aus Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG iVm Nr. 3100 VV RVG folgt (vgl. BGH 10. Mai 2010 – II ZB 14/09, Rn. 23).

2. In Betracht kommt in dieser Situation aber eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG. Zum Verfahren gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 RVG grundsätzlich auch alle Abwicklungstätigkeiten und insoweit insbesondere die Empfangnahme von Entscheidungen und ihre Mitteilung an den Auftraggeber (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG); sie werden mit der Verfahrensgebühr ggf. selbständig entgolten (vgl. BVerwG 4. September 2009 – 9 KSt 10/09, Rn. 6; LG Berlin 15. Februar 1984 – 82 T 380/83, JurBüro 1984, 1034; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 24. Aufl. 2019, RVG VV 3101 Rn. 62, 67).

3. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG steht in diesem Fall der Berücksichtigung der entstandenen Verfahrensgebühr nicht entgegen. Er hindert nur die kumulative Forderung der Gesamtgebühr und der Einzelgebühren (vgl. BGH 24. September 2014 – IV ZR 422/13, Rn. 12).

4. Dem Ergebnis stehen auch nicht die Gesichtspunkte entgegen, die für eine Begrenzung der Rückwirkung der PKH-Bewilligung sprechen.

Ist Prozesskostenhilfe – wie hier - uneingeschränkt ab einem bestimmten Zeitpunkt bewilligt worden, sind alle folgenden, Gebühren auslösende und zum Verfahren zählende Tätigkeiten auch zu vergüten (Abgrenzung zu LAG Berlin-Brandenburg 17. April 2019 – 26 Ta (Kost) 6080/18, Rn. 7).

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/f19/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200016447&documentnumber=4&numberofresults=1302&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XVI.
Kostenfestsetzung gegen eigene Partei - Aussetzung des Verfahrens zur Gegenstandswertbestimmung
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.11.2020, Az. 26 Ta (Kost) 6101/20

1. Wendet sich eine Partei gegen einen Kostenfestsetzungsantrag - mit dem ihr Prozessbevollmächtigter nach § 11 Abs. 5 RVG die Vergütung gegen sie als seine Partei festsetzen lassen möchte - mit der Begründung,

ihr Prozessbevollmächtigter habe bei der Berechnung der Anwaltsgebühren einen unzutreffenden Gegenstandswert zugrunde gelegt, liegt darin in der Regel ein konkludenter Antrag auf förmliche Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren gemäß § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG.

2) Über diesen Antrag können die Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger mangels eigener Zuständigkeit nicht im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens selbst entscheiden, vielmehr hat die Festsetzung des Gegenstandswerts durch verbindliche Entscheidung im Verfahren nach § 63 GKG, § 33 RVG zu erfolgen.

Das Kostenfestsetzungsverfahren ist nach § 11 Abs. 4 RVG, § 148 ZPO auszusetzen und eine richterliche Entscheidung über den Antrag auf Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren anzuregen (vgl. BGH 27. März 2014 – IX ZB 52/13, Rn. 3 - 6).

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/f19/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200016170&documentnumber=5&numberofresults=1302&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XVII.
Toningenieur/Sounddesigner - Beschäftigungsgarantie - programmgestaltende Tätigkeit
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.11.2020, Az. 26 Ta (Kost) 6101/20

Die Tätigkeit des Klägers als Sounddesigner gehört zu den Tätigkeiten eines Toningenieurs bzw. Tonmeisters

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/f19/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200017000&documentnumber=6&numberofresults=1302&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XVIII.
Verhaltensbedingte Kündigung - Fürsorgepflicht - Verhalten als Vorgesetzter gegenüber Mitarbeiterinnen - aufgedrängte Einladungen zu gemeinsamer Freizeit und Alkoholkonsum zu zweit - nächtliche Nachrichten - Gespräche - Sexualität - professionelle Distanz - Mitnahme im Auto – Alkohol
LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.09.2020, Az. 9 Sa 500/20

Vorgesetzte einer öffentlichen Einrichtung dürfen nachgeordnete Mitarbeiterinnen nicht mit dem Anschein einer dienstlichen Verpflichtung zum gemeinsamen Verbringen von Freizeit und Alkoholkonsum zu zweit drängen oder in sonstiger Form wie u.a. durch mehrfache unerwünschte nächtliche Nachrichten oder Anrufe für private Interessen in Anspruch nehmen. Dies gilt insbesondere, soweit von Seiten des Vorgesetzten Fragen der Sexualität ohne jeden Bezug zur Arbeitsleistung thematisiert werden. Erkennbar unerwünschte Umarmungen nachgeordneter Mitarbeiterinnen sind zu unterlassen. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls und soweit eine negative Prognose gestellt werden kann, kann eine Verletzung dieser Pflichten eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/f19/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200016503&documentnumber=7&numberofresults=1302&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XIX.
Eingruppierung - Servicegeschäftsstelle - schwierige Tätigkeit
LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.09.2020, Az. 21 Sa 1109/19

Auch bei der Eingruppierung von Beschäftigten bei Gerichten und Staatsanwaltschaften nach den besonderen Tätigkeitsmerkmalen (Teil II Abschnitt 12 Unterabschnitt 1) der Entgeltordnung zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) gelten für die Bestimmung der Arbeitsvorgänge und deren Bewertung die allgemeinen, das Eingruppierungsrecht des TV-L prägenden Regelungen des § 12 Absatz 1 TV-L einschließlich der Protokollerklärungen.

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/f19/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200016863&documentnumber=8&numberofresults=1302&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XX.
Eintritt einer auflösenden Bedingung bei freigestelltem Betriebsratsmitglied im Bewachungsgewerbe
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.10.2020, Az. 7 Sa 426/19

1. Eine auflösende Bedingung in einem Arbeitsvertrag eines Unternehmens des Bewachungsgewerbes, wonach das Arbeitsverhältnis eines im Wachdienst beschäftigten Arbeitnehmers bei dem Entzug der Einsatzgenehmigung durch die US-Streitkräfte endet, ist wirksam, wenn für den Arbeitnehmer keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht (BAG 19. März 2008 - 7 AZR 1033/06).(Rn.64)

2. Die Amtsausübung durch ein freigestelltes Betriebsratsmitglied ist keine solche Beschäftigungsmöglichkeit.(Rn.84)

Siehe:
http://www.landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/e32/page/bsrlpprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200015935&documentnumber=1&numberofresults=5084&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XXI.
Zusammenhängende Urlaubsgewährung iSv § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG bei eingebettetem Wochenfeiertag
ArbG Koblenz, Urteil vom 14.10.2020, Az. 7 Ca 1140/20

Eine zusammenhängende Urlaubsgewährung im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG über mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage (zwei Wochen) liegt auch dann vor, wenn in diesen Zeitraum ein Wochenfeiertag fällt und der Arbeitnehmer daher rechnerisch einen Urlaubstag weniger "verbraucht".

Siehe:
http://www.landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/e32/page/bsrlpprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200015934&documentnumber=2&numberofresults=5084&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XXII.
Eingruppierung eines Supervisors bei den US-Stationierungsstreitkräften
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.10.2020, Az. 5 Sa 189/19

Siehe:
http://www.landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/e32/page/bsrlpprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200016414&documentnumber=3&numberofresults=5084&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint


XXIII.
Arbeitnehmerüberlassung, Wirksamkeit einer Vermittlungshonorarklausel
AÜG § 9 Nr. 3 i.d.v. 30. April 2011 bis 31. März 2017 gültigen Fassung
Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. November 2020, Az. III ZR 156/19

Eine in einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag enthaltene Vermittlungshonorarklausel ist wirksam, wenn das Honorar maximal zwei Bruttomonatsgehälter beträgt und sich entsprechend der Dauer der erfolgten Arbeitnehmerüberlassung für jeden vollen Monat um ein Zwölftel reduziert. Daran ändert nichts, dass zu-nächst der Verleiher das Arbeitsverhältnis mit dem Leiharbeitnehmer durch Kündigung beendet und dieser anschließend ein Arbeitsverhältnis mit dem (vormaligen) Entleiher begründet (Fortführung von Senat, Urteile vom 7. Dezember 2006 -III ZR 82/06, NJW 2007, 764, vom 11. März 2010 -III ZR 240/09, NJW 2010, 2048 und vom 10. November 2011 -III ZR 77/11, WM 2012, 947).

Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=6&nr=112937&pos=208&anz=539

XXIV.
Entgeltgleichheitsklage - Auskunft über das Vergleichsentgelt - Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Januar 2021, Az. 8 AZR 488/19

Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG), begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson, regelmäßig die - vom Arbeitgeber widerlegbare - Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Abteilungsleiterin beschäftigt. Sie erhielt im August 2018 von der Beklagten eine Auskunft nach §§ 10 ff. EntgTranspG, aus der ua. das Vergleichsentgelt der bei der Beklagten beschäftigten männlichen Abteilungsleiter hervorgeht. Angegeben wurde dieses entsprechend den Vorgaben von § 11 Abs. 3 EntgTranspG als "auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median" des durchschnittlichen monatlichen übertariflichen Grundentgelts sowie der übertariflichen Zulage (Median-Entgelte). Das Vergleichsentgelt liegt sowohl beim Grundentgelt als auch bei der Zulage über dem Entgelt der Klägerin. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt sowie der ihr gezahlten Zulage und der ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelte für die Monate August 2018 bis Januar 2019 in Anspruch genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Beklagten abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, es lägen schon keine ausreichenden Indizien iSv. § 22 AGG vor, die die Vermutung begründeten, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfahren habe.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Aus der von der Beklagten erteilten Auskunft ergibt sich das Vergleichsentgelt der maßgeblichen männlichen Vergleichsperson. Nach den Vorgaben des EntgTranspG liegt in der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt durch einen Arbeitgeber zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson, weil entweder ein konkreter oder ein hypothetischer Beschäftigter des anderen Geschlechts dieses Entgelt für gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeit erhält. Die Klägerin hat gegenüber der ihr von der Beklagten mitgeteilten männlichen Vergleichsperson eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG erfahren, denn ihr Entgelt war geringer als das der Vergleichsperson gezahlte. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts begründet dieser Umstand zugleich die - von der Beklagten widerlegbare - Vermutung, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung "wegen des Geschlechts" erfahren hat. Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, diese Vermutung den Vorgaben von § 22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt hat. Zugleich ist den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vorbringen zu geben. Dies führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht.

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2021&nr=24855&pos=0&anz=1&titel=Entgeltgleichheitsklage_-_Auskunft_%FCber_das_Vergleichsentgelt_-_Vermutung_der_Benachteiligung_wegen_des_Geschlechts

XXV.
Haftung des Betriebserwerbers in der Insolvenz
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. Januar 2021, Az. 3 AZR 139/17

Der Erwerber eines Betriebs(teils) in der Insolvenz haftet nach § 613a Abs. 1 BGB für Ansprüche der übergegangenen Arbeitnehmer auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nur zeitanteilig für die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgelegte Dauer der Betriebszugehörigkeit. Für die Leistungen, die auf Zeiten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhen, haftet er auch dann nicht, wenn für diesen Teil der Betriebsrente nach dem Betriebsrentengesetz der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) - der gesetzlich bestimmte Träger der Insolvenzsicherung - nicht vollständig eintritt.

Den beiden Klägern sind Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden. Nach der Versorgungsordnung berechnet sich ihre Betriebsrente nach der Anzahl der Dienstjahre und dem - zu einem bestimmten Stichtag vor dem Ausscheiden - erzielten Gehalt. Über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin wurde am 1. März 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im April 2009 ging der Betrieb nach § 613a Abs. 1 BGB auf die Beklagte über.

Einer der Kläger erhält seit August 2015 von der Beklagten eine Betriebsrente iHv. ca. 145,00 Euro und vom PSV eine Altersrente iHv. ca. 817,00 Euro. Bei der Berechnung legte die Beklagte zwar die Versorgungsordnung einschließlich des zum maßgeblichen Stichtag vor dem Versorgungsfall bezogenen höheren Gehalts zugrunde, ließ aber den Anteil an der Betriebsrente, der vor der Insolvenz erdient war, außer Betracht. Der PSV setzte dagegen - wie im Betriebsrentengesetz vorgesehen - das zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgebliche niedrigere Gehalt des Klägers an. Der Kläger hält die Beklagte für verpflichtet, ihm eine höhere Betriebsrente zu gewähren. Diese müsse sich nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung auf der Basis des höheren Gehalts unter bloßem Abzug des Betrags errechnen, den er vom PSV erhalte. Der andere Kläger verfügte bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht über eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft. Daher steht ihm bei Eintritt eines Versorgungsfalls nach dem Betriebsrentengesetz kein Anspruch gegen den PSV zu. Er hält die Beklagte für verpflichtet, ihm künftig eine Betriebsrente in voller Höhe zu gewähren. Die Vorinstanzen haben die Klagen abgewiesen.

Die Revisionen der Kläger hatten vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Nach der - im Hinblick auf die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts einschränkenden - Auslegung von § 613a Abs. 1 BGB durch die deutschen Arbeitsgerichte können die Kläger mit ihren Klagebegehren nicht durchdringen. Danach haftet ein Betriebserwerber in der Insolvenz nicht für Betriebsrentenanwartschaften, die im Sinne von § 108 Abs. 3 Insolvenzordnung für die Zeit vor Insolvenzeröffnung entstanden sind. Diese Rechtsprechung ist - wie der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden hat (EuGH 9. September 2020 - C-674/18 und C-675/18 - [TMD Friction])- mit Unionsrecht vereinbar. Sie rechtfertigt sich nach der allgemeinen Regelung des Art. 3 Abs. 4 Richtlinie 2001/23/EG, der auch neben den nur in der Insolvenz geltenden Bestimmungen in deren Art. 5 anwendbar bleibt. Voraussetzung ist, dass ein Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG entsprechender Mindestschutz gewährt wird. Dieser unionsrechtlich gebotene Mindestschutz wird in der Bundesrepublik Deutschland durch einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden und gegen den PSV gerichteten Anspruch gewährleistet. Eine Haftung des Erwerbers scheidet deshalb aus.

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2021&nr=24874&pos=0&anz=2&titel=Haftung_des_Betriebserwerbers_in_der_Insolvenz


XXVII.
Auslegung Bezugnahmeklausel - AGB-Kontrolle - Reichweite einer Bezugnahmeklausel - Rückführung der individuell verlängerten Arbeitszeit auf die tarifliche Regelarbeitszeit
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.2020, Az. 17 Sa 6/20

1. Die Regelungen des Manteltarifvertrags der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden zur Arbeitszeit (§ 7 MTV) und damit auch zur Möglichkeit, die individuell verlängert vereinbarte Arbeitszeit durch einseitige Erklärung mit einer Ankündigungsfrist von 3 Monaten zu ändern und auf die tarifliche Regelarbeitszeit zurückzuführen (§ 7.1.3 MTV), sind auch dann insgesamt im Arbeitsvertrag in Bezug genommen, wenn bereits ursprünglich im Arbeitsvertrag individuell eine Arbeitszeit von mehr als 35 Stunden pro Woche vereinbart wurde und nach dem Inhalt der Bezugnahmeklausel die gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen in der jeweiligen Fassung nur "im Übrigen" gelten sollen.

2. Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur tariflichen Möglichkeit, die individuell verlängerte Arbeitszeit auf die tarifliche Regelarbeitszeit zurückzuführen (BAG 14. Januar 2009 - 5 AZR 75/08 -)

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=1&nr=33372&pos=13&anz=54

XXVIII.
Reichweite der Tarifdisposivität des § 1 Abs 1b Satz 3 AÜG - Betriebsnormen - Inhaltsnormen - Auslegung TV Leiz
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 2.12.2020, Az. 4 Sa 16/20

1. § 1 Abs. 1b AÜG eröffnet den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche, durch Tarifvertrag abweichende Regelungen zur Überlassungshöchstdauer gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG zu treffen sowie Abweichungen zur Einsatzdauer gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 2. Halbs. AÜG.

2. Machen die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche von der Möglichkeit des § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG vollumfänglich Gebrauch, sind die Regelungen zur Einsatzdauer im Einsatzbetrieb des Entleihers bloße Betriebsnormen. Die Regelungen zur Überlassungshöchstdauer sind jedoch Inhaltsnormen.

3. Durch bloße Betriebsnormen für die Betriebe der Einsatzbranche wird ohne ergänzende Regelung zur Überlassungshöchstdauer im Verleihverhältnis kein bloßer Reflex mit mittelbarer Wirkung für das Verleihverhältnis geschaffen.

4. Nr. 2.3 des von Südwestmetall und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg abgeschlossenen Tarifvertrags Leih-/Zeitarbeit (TV Leiz), mit welcher die Höchstdauer eines Einsatzes von Leiharbeitnehmern auf 48 Monate angehoben wurde, vermag deshalb für Nichtmitglieder der IG Metall eine Abweichung von der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG nicht zu bewirken.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=33378&pos=1&anz=54

XXIX.
Reichweite der Tarifdisposivität des § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG - Betriebsnormen – Inhaltsnormen
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2020, Az. 21 Sa 12/20

1. § 1 Abs. 1b AÜG eröffnet den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche, durch Tarifvertrag abweichende Regelungen zur Überlassungshöchstdauer gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG zu treffen sowie Abweichungen zur Einsatzdauer gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 2. Halbs. AÜG.

2. § 1 Abs. 1b AÜG verstößt weder gegen die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche noch gegen die negative Koalitionsfreiheit. Ebensowenig verstößt die Norm gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

3. Machen die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche von der Möglichkeit des § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG vollumfänglich Gebrauch, sind die Regelungen zur Einsatzdauer im Einsatzbetrieb des Entleihers bloße Betriebsnormen iSd. § 3 Abs. 2 TVG (anderer Ansicht LAG Baden-Württemberg 02.12.2020 - 4 Sa 16/20 - nicht rechtskräftig).

Durch diese Betriebsnormen für die Betriebe der Einsatzbranche wird ein bloßer Reflex mit mittelbarer Wirkung für das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und dessen Arbeitnehmer geschaffen. Sie wirken in diesem Vertragsverhältnis bei der Überlassungshöchstdauer nicht als Inhaltsnorm iSd. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 TVG.

4. Nr. 2.3 des von Südwestmetall und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg abgeschlossenen Tarifvertrags Leih-/Zeitarbeit (TV Leiz), mit welcher die Höchstdauer eines Einsatzes von Leiharbeitnehmern auf 48 Monate angehoben wurde, bewirkt deshalb auch für Nichtmitglieder der IG Metall eine Abweichung von der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gem. § 1 Abs. 1b Satz 1 1. Halbs. AÜG.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=33541&pos=2&anz=54

XXX.
Anfechtung eines Aufhebungsvertrags, Nebenpflichtverletzung, verständiger Arbeitgeber
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 23.11.2020, Az. 1 Sa 1878/19

Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2020/1_Sa_1878_19_Urteil_20201123.html

XXXI.
fristlose Kündigung; Arbeitszeitbetrug; Abmahnung; Verschleierung
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 3.12.2020, Az. 6 Sa 494/20

Eine vom Arbeitgeber berechtigterweise ausgesprochene Abmahnung ist nicht geeignet, die Verschleierung des nächsten Vertragspflichtverstoßes zu rechtfertigen.

Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2020/6_Sa_494_20_Urteil_20201203.html

XXXII.
Betriebsübergang - Verwirkung des Widerspruchsrechts - tarifvertragliches Rückkehrrecht
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 18.11.2020, Az. 4 Sa 397/20

1. Bei nicht ordnungsgemäßer, aber die "grundlegenden Informationen" enthaltender Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsübergang iSv. § 613a Abs. 5 BGB führt nach der Rechtsprechung des BAG dessen widerspruchslose Weiterarbeit bei dem neuen Inhaber über einen Zeitraum von sieben Jahren regelmäßig zur Verwirkung des Widerspruchsrechts (zuletzt etwa BAG 24.08.2017 - 8 AZR 265/16, juris).

2. Ein tarifvertraglich vereinbartes Rückkehrrecht zum Veräußerer für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung des Erwerbers innenhalb von ca. 5 Jahren führt weder zu einem späteren Beginn noch zu einer Verlängerung dieser regelmäßigen Verwirkungsfrist

Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2020/NRWE_LAG_D_sseldorf_4_Sa_397_20_Urteil_20201118.html

XXXIII.
Freistellung statt tariflichem Zusatzgeld, keine Erfüllung im Falle von Arbeitsunfähigkei
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 25.11.2020, Az. 6 Sa 695/20

Normen: § 3d des einheitlichen Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie; Nordrhein Westfalen vom 18.12.2013 in der Fassung; des Änderungstarifvertrages vom 14.02.2018

• Der Anspruch auf tatsächliche Realisierung der Freistellung nach § 3d des einheitlichen Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein Westfalen vom 18.12.2013 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 14.02.2018 (EMTV) wird nicht allein durch die Freistellungserklärung des Arbeitgebers erfüllt. Das Risiko der Nutzungsmöglichkeit der arbeitsfreien Zeit bei einer erfolgten Festlegung der freien Arbeitstage trifft vielmehr den Arbeitgeber. Eine Erfüllung des Freistellungsanspruchs soll ausnahmsweise dann ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitnehmer nach zeitlicher Festlegung der Freistellung in diesem Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt.

• Der Anspruch auf Freistellung nach § 3d EMTV geht am Jahresende unter, soweit er bis dahin nicht genommen wurde. Die Erfüllung des Anspruchs wird dem Arbeitgeber nach Ablauf des Kalenderjahres nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich, da es sich um einen Anspruch „für“ das Folgejahr handelt.

• Hat der Arbeitgeber die (Nach-)Gewährung der Freistellung im laufenden Kalenderjahr rechtswidrig verweigert, obwohl sie personenbedingt möglich war, und ist der Freistellungsanspruch deshalb am Jahresende untergegangen, hat der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch auf Ersatzgewährung im Sinne einer Naturalrestitution. Ein Rückfall auf das tarifliche Zusatzgeld (§ 2 Nr. 2 a TV T-ZUG), wie ihn § 3d Ziff. 3 Abs. 3 EMTV vorsieht, scheidet in einem derartigen Fall aus

Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2020/6_Sa_695_20_Urteil_20201125.html

XXXIV.
Rechtsweg für einstweilige Verfügungen auf Untersagung einer Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst - Konkurrentenstreitverfahren - Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 14.01.2021, Az. 10 Ta 316/20

1. Für den Antrag eines Bewerbers auf vorläufige Untersagung, eine als Arbeitsverhältnis ausgeschriebene Stelle im öffentlichen Dienst mit einem anderen Bewerber zu besetzen, ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben. Es handelt sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit.

2. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss, mit dem das Landesarbeitsgericht im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs entscheidet, ist nicht ausgeschlossen. Der Ausschluss der Rechtsbeschwerde im Eilverfahren bezieht sich nicht auf das vorgelagerte Rechtswegbestimmungsverfahren. Hierfür bedürfte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.

Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE210000997&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XXXV.
Nachtarbeitszuschlag - Zuschlagshöhe - Differenzierung - Nachtarbeit - Nachtschichtarbeit - Tarifauslegung – Getränkeindustrie
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 18.11.2020, Az. 13 Sa 133/20

Die Differenzierung zwischen Nachtarbeit von 21.00 bis 6.00 Uhr mit einer Zuschlagshöhe von 50 % und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr mit einer Zuschlagshöhe von 25 % im Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen vom 23.08.2005 hält sich unter Berücksichtigung weiterer damit zusammenhängender Tarifregelungen noch im Rahmen der den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Einschätzungsprärogative und verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG,

Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=KARE600061008&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint


XXXVI.
Prozesskostenhilfe - berücksichtigungsfähige Raten - Überprüfung nach § 120a ZPO
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.01.2021, Az. 10 Ta 1659/20

Wenn ein Empfänger von Prozesskostenhilfe im Rahmen der Überprüfung nach § 120 a Abs. 1 ZPO Ratenzahlungen berücksichtigt sehen möchte, hat er dem Gericht Anlass und Beweggrund der Darlehensaufnahme mitzuteilen. Nur so kann überprüft werden, wie sich eine bemittelte Person in der gegebenen Situation verhalten hätte.

Siehe:
https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210000691

XXXVII.
Kostenrechtliche Bewertung eines Weiterbeschäftigungsantrages
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.12.2020, Az. 26 Ta (Kost) 6098/20

1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts ist bei einem unbedingt formulierten Weiterbeschäftigungsantrag anzunehmen, dass dieser auch als solcher gewollt ist (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 4. Dezember 2015 - 17 Ta (Kost) 6104/15).Davon ist auszugehen, wenn in der Begründung ausdrücklich auf die Unbedingtheit hingewiesen wird.(Rn.8)
Unabhängig davon kann der Antrag immer als unbedingter Antrag angesehen werden, wenn sich die klagende Partei auf einen Widerspruch des Betriebsrats mit den sich aus § 102 Abs. 5 BetrVG ergebenden Rechtsfolgen beruft.(Rn.8)
In diesem Fall ist die Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsantrag von der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag nicht abhängig.(Rn.8)

2. Werden hingegen zur Begründung eines Weiterbeschäftigungsantrags ausschließlich Gesichtspunkte vorgetragen, nach denen sein Erfolg zwingend von dem des Hauptantrags abhängt und es daher der Sache nach um einen Hilfsantrag geht, muss die klagende Partei, die ihren Antrag dennoch als unbedingten Antrag verstanden wissen will, dies in der Begründung zum Ausdruck bringen.(Rn.9)

3. Macht die Partei im Rahmen der Begründung ihres Antrags deutlich, dass auch vor diesem Hintergrund auf jeden Fall ein unbedingter Antrag gewollt ist, kann nicht unabhängig vom ausdrücklich erklärten Willen der Partei von einem Hilfsantrag ausgegangen werden.(Rn.10)
Der Umstand, dass ein solches Vorgehen prozesskostenhilferechtlich als mutwillig eingestuft wird (dazu LAG Berlin 29. November 2005 - 17 Ta 1981/05), ist bei der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 6. September 2019 - 26 Ta (Kost) 6012/19, zu II 1 d der Gründe).(Rn.10)

Siehe:
https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210000727

XXXVIII.
"virtueller Gemeinschaftsbetrieb" - Betriebsänderung - Einstweiliger Rechtsschutz
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2020, Az. 26 TaBVGa 1498/20

1. In einem Gemeinschaftsbetrieb sind regelmäßig alle Inhaber der betrieblichen Leitungsmacht Beteiligte, da sie in ihrer möglichen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung (Arbeitgeberstellung) unabhängig davon betroffen sind, welches Unternehmen aus den Anträgen tatsächlich verpflichtet werden soll.
Im Gemeinschaftsbetrieb sind Inhaber der betrieblichen Leitungsmacht alle Unternehmen, die sich zur einheitlichen Leitung des Betriebs verbunden haben (vgl. BAG 29. September 2004 - 1 ABR 39/03, zu B I 2 a der Gründe).

2. Ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Durchführung von Betriebsänderungen dient der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 19. Juni 2014 - 7 TaBVGa 1219/14, mwN; LAG Rheinland-Pfalz 22. März 2018 - 4 TaBV 20/17, Rn. 26).

3. Keine Betriebsänderung bei Schaffung eines rein "virtuellen Gemeinschaftsbetriebs".

4. Dem Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung des Verhandlungsanspruchs durch die Untersagung von Stellenbesetzungen steht nicht entgegen, dass ein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats wegen Verletzung seines Mitbestimmungsrechts nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht besteht (vgl. dazu BAG 23. Juni 2009 - 1 ABR 23/08, Rn. 9).
Denn insoweit geht es dem Betriebsrat nicht um eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, sondern des § 111 BetrVG.
5. Verstöße gegen Arbeitnehmerüberlassungs- und Tarifvertragsrecht können einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG darstellen.

Siehe:
https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210000732

XXXIX.
Herabsetzung des Streitwerts im Beschwerdeverfahren - Streitwert bei beabsichtigter Reduzierung der Vergütung
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2020, Az. 26 Ta (Kost) 6106/20

1. Geht es nicht um die Zuordnung zu einer bestimmten Vergütungsgruppe, sondern um die Bestimmung der für das Arbeitsverhältnis maßgebenden Tarifbestimmungen, handelt es sich nicht um einen Eingruppierungsrechtsstreit iSd § 42 Abs. 3 Satz 2 GKG (vgl. LAG Schleswig-Holstein 19. März 2009 - 6 Ta 24/09, Rn. 17; TZA/Ziemann, Teil 1 A Rn 357).(Rn.8)

2. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG ist bei Ansprüchen von Arbeitnehmern auf wiederkehrende Leistungen an sich der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist.(Rn.12)

3. Geht es aber um die Wirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber, ist auch bei wiederkehrenden Leistungen eine Deckelung auf ein Vierteljahreseinkommen vorzunehmen (vgl. LAG Schleswig-Holstein 19. März 2009 - 6 Ta 24/09, Rn. 16; zu Ausnahmen ausführlich LAG Berlin-Brandenburg 14. Juni 2019 - 26 Ta (Kost) 6114/18, Rn. 12; 13. Dezember 2019 - 26 Ta (Kost) 6076/19, zu II 1 c der Gründe).(Rn.16)

4. Vom Beschwerdegericht kann eine Korrektur einer Streitwertentscheidung von Amts wegen vorgenommen werden, soweit in dem Beschwerdeverfahren über eine Streitwertfestsetzung gemäß der § 63 Abs. 1 GKG, § 32 Abs. 1 RVG das Verschlechterungsverbot nicht greift. Dies folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, wonach die Streitwertfestsetzung auch vom Rechtsmittelgericht von Amts wegen geändert werden kan
 
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