10 Urteile, die Ihre Leser interessieren könnten
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Verzicht auf Eigenbedarfskündigung
AG Dortmund, Urteil vom 02. Juni 2020, Az. 425 C 3346/19
1. Bei einem Verzicht auf die Eigenbedarfskündigung „bis zum Tode des Mieters“ bedarf der Mietvertrag gem. § 550 BGB der Einhaltung der Schriftform; anderenfalls ist er nach Ablauf eines Jahres kündbar.
2. Bei einer Eigenbedarfskündigung ist die Angabe der Personen, für die die Wohnung benötigt wird, und die Darlegung des Interesses, das diese Personen an der Erlangung der Wohnung haben, ausreichend.
3. Wird das Erlangungsinteresse mit krankheitsbedingten Nutzungseinschränkungen der bisher bewohnten Räume begründet, reicht die Angabe der Krankheitssymptome, die richtige Bezeichnung der Diagnose ist nicht erforderlich.
4. Der Vermieter kann ein Mietverhältnis ordentlich gem. § 573 BGB und „vorsorglich“ gem. § 573a BGB kündigen. Es liegt keine unzulässige Bedingung vor.
5. Die noch nicht konkrete Absicht, in Zukunft einmal eine Pflegeperson in der Wohnung unter-bringen zu können, stellt eine unzulässige Vorratskündigung dar.
II.
Urlaubsabgeltungsansprüche
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 24. Juni 2020, Az. 4 Sa 571/19
1. Urlaubsabgeltungsansprüche unterliegen tarif- oder einzelvertraglichen Ausschlussfristen auch dann, wenn die zugrundeliegenden Urlaubsansprüche - etwa aufgrund unzureichender Aufklärung durch den Arbeitgeber - urlaubsrechtlich nicht verfallen konnten.
2. Zur Wirksamkeit einer im Jahre 2013 vereinbarten einzelvertraglichen Ausschlussfrist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die lediglich Ansprüche aus unerlaubter Handlung von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt.
III.
Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen Täuschung
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 09. Juni 2020, Az. 5 Sa 206/19
1. Eine arglistige Täuschung setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat.
2. Die Angabe, zeitweise an einer bestimmten Universität studiert zu haben, ist nicht allein deshalb falsch, weil der Studierende in diesem Zeitraum nicht bei dieser, sondern bei einer anderen Universität eingeschrieben war.
3. Die Vorlage eines von einer Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit ordnungsgemäß ausgestellten Zeugnisses stellt keine Täuschung dar, wenn dieses Zeugnis nicht durch falsche Angaben erschlichen wurde und nicht an einem offensichtlichen Mangel leidet.
IV.
Aussetzung der Vollziehung: Anwendbarkeit des MiLoG auf ausländische Transportunternehmer
Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08. Juni 2020, Az. 3 V 1103/19
1. Das MiLoG ist bei summarischer Prüfung auch auf ausländische Transportunternehmer anwendbar (Rn.39)(Rn.40).
2. Ernstliche Zweifel daran ergeben sich nicht bereits daraus, dass die Finanzgerichte in bisher zu dieser Frage ergangenen Hauptsacheentscheidungen stets die Anwendbarkeit des MiLoG bejaht, allerdings die Revision zugelassen haben (Rn.38)(Rn.39).
3. Jedenfalls für Kabotagefahrten und grenzüberschreitende Beförderungen besteht eine Prüfungsbefugnis der Zollbehörden. Bei den diesbezüglichen Fahrern handelt es sich, soweit sie in Deutschland fahren, um im Inland beschäftigte Arbeitnehmer im Sinne von § 20 MiLoG. Eine Prüfungsverfügung ist jedenfalls nicht willkürlich, wenn die Durchführung derartiger Fahrten ernsthaft in Betracht kommt (Rn.43)(Rn.44).
4. Etwaige Grundrechtseingriffe in Art. 12 und 14 GG wären bei summarischer Prüfung auf Grund der geringen Intensität und der Rechtfertigung des Eingriffs jedenfalls gerechtfertigt (Rn.48)(Rn.49).
5. Eine Rechtswidrigkeit der Prüfungsverfügung ergibt sich bei summarischer Prüfung auch nicht aus einem etwaigen Verstoß gegen Unionsrecht (Rn.51)(Rn.53).
6. Beschwerde eingelegt (Az. des BFH: VII B 75/20 (AdV)).
V.
Stellenanzeige - Diskriminierung - Alter - "junges hochmotiviertes Team"
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 27. Mai 2020, Az. 2 Sa 1/20
Die Formulierung in der Stellenausschreibung, wonach dem/der Bewerber/in eine zukunftsorientierte, kreative Mitarbeit in einem „jungen, hochmotivierten Team“ geboten wird, bewirkt eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG.
VI.
GmbH: Anfechtungsfrist für eine Anfechtungsklage gegen Gesellschafterbeschlüsse
OLG Dresden, Urteil vom 28. Mai 2020, Az. 8 U 2611/19
Zur Anfechtungsfrist für eine Anfechtungsklage gegen Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH.(Rn.45)
1. Bei Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH ist die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG - sofern die Satzung keine abweichende Regelung enthält - grundsätzlich einzuhalten. Wird diese Frist überschritten, kommt es darauf an, ob zwingende Umstände den Gesellschafter an einer früheren klageweisen Geltendmachung des Anfechtungsgrundes gehindert haben. Dabei stellt der Umstand, dass die Weihnachtszeit in den Lauf der Beschlussanfechtungsfrist fällt, keinen Rechtfertigungsgrund für eine Fristüberschreitung dar. (Rn.45)
2. Eine mehr als acht Wochen nach Beschlussfassung erhobene Anfechtungsklage entspricht, selbst wenn man eine analoge Anwendung des § 246 Abs. 1 AktG ablehnt, nicht der gebotenen Beschleunigung.(Rn.71)
VII.
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit - beamteter Hochschullehrer - Nebentätigkeit als leitender Klinik- oder Chefarzt an einem Krankenhaus (vorliegend in Form einer GmbH) in Baden Württemberg - abhängige Beschäftigung - separate Rechtsverhältnisse - Hochschulrecht
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Juni 2020, Az. L 7 BA 1208/18
1. Beamtete Hochschullehrer, die daneben als Chefärzte an einem Krankhaus (vorliegend in Form einer GmbH) im Bereich der Krankenversorgung tätig sind, stehen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu dem Krankenhaus. (Rn.141)
2. Eine neben oder unabhängig von dem nach § 27 Abs 1 Nr 1 SGB III versicherungsfreien Beamtenverhältnis ausgeübte Beschäftigung unterliegt - anders als im Krankenversicherungsrecht (§ 6 Abs 3 SGB V) - grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung. (Rn.143)
3. Das baden-württembergische Hochschulrecht sieht keine zwingende Verknüpfung zwischen der Ernennung zum Universitätsprofessor der Medizin und der Tätigkeit als leitender Klinik- oder Chefarzt an einem Krankenhaus (vorliegend in Form einer GmbH) vor. (Rn.144)
https://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=31657
VIII.
Krankenversicherung - Pflegeversicherung - Beitragspflicht von Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung - Versorgungsbezug - betriebliche Altersversorgung
SG Reutlingen, Urteil vom 08. Juli 2020, Az. S 1 KR 2098/18
1. Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, die von einem Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zusammen mit einer Lebensversicherung als Direktversicherung auf einen Arbeitnehmer als Versicherten abgeschlossen wurde, unterliegen als Versorgungsbezüge der Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung. (Rn.39) (Rn.44)
2. Dies gilt sogar dann, wenn die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung 5 Jahre vor Beginn der Leistungen aus der Lebensversicherung enden. (Rn.50)
IX.
Grundbuchberichtigung nach Tod eines GbR-Gesellschafters
KG Berlin, Beschluss vom 08.07.2020, Az. 1 W 35/20
1. Nach dem Tod eines GbR-Gesellschafters kann das Grundbuch auf Bewilligung seines Erben nebst Tatsachenangaben berichtigt werden, aus denen sich ergibt, dass es durch die bewilligte Eintragung richtig wird („schlüssige Darlegung der Unrichtigkeit“). Die Buchposition des verstorbenen GbR-Gesellschafters geht immer auf den Erben über (Fortführung von Senat, Bes. v. 29. März 2016 - 1 W 907/15, NZG 2016, 555). Soll der Verstorbene ersatzlos gelöscht werden, bedarf es keiner Bewilligung der weiteren eingetragenen Gesellschafter (Fortführung von Senat, Bes. v. 19. Juli 2011 - 1 W 491/11, FGPrax 2011, 217 und Bes. v. 30. April 2015 - 1 W 466/15, FGPrax 2015, 153).
2. Das Grundbuch kann nicht auf Grund privatschriftlicher Erklärungen berichtigt werden, wenn diese ohne weiteres in der Form des § 29 Abs. 1 GBO abgegeben werden könnten (entgegen OLG München, Bes. v. 8. Januar 2020 - 34 Wx 420/19, NZG 2020, 191).
X.
Unlautere Bereitstellung der App "mytaxi" für die Beförderung von Kunden in Taxis unter Verstoß gegen § 47 Abs. 2 Satz 1 PBefG
OLG Frankfurt, Urteil vom 25. Juni 2020, Az. 6 U 64/19
1. Das Betreiben einer Anwendungssoftware für mobile Endgeräte, die eine direkte Verbindung zwischen einem nahe gelegenen Taxifahrer und einem Fahrgast herstellt und so Beförderungen von Kunden in Taxis ermöglicht, ist unlauter, wenn sie nicht verhindert, dass Beförderungen auch an ortsfremde, nicht konzessionierte Taxifahrer vermittelt werden, die sich unter Verstoß gegen § 47 Abs. 2 Satz 1 PBefG bereithalten.
2. Zwischen dem App-Betreiber und den örtlichen Taxiunternehmen besteht ein unmittelbares konkretes Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG.
3. Die Verantwortlichkeit des App-Betreibers ergibt sich nicht aus einem eigenen Verstoß gegen eine wettbewerbliche Verkehrspflicht im Sinne von § 3 UWG, weil dieser - als Vermittler - nicht Adressat des § 47 Abs. 2 Satz 1 PBefG ist.
4. Der App-Betreiber ist jedoch Teilnehmer eines von einem nicht konzessionierten Taxiunternehmer begangenen Verstoßes nach § 47 Abs. 2 Satz 1 UWG, wenn die Fahrt durch die App vermittelt wurde.
5. Der App-Betreiber fördert zumindest bedingt vorsätzlich Wettbewerbsverstöße durch nicht konzessionierte Taxifahrer, wenn er jedenfalls mit der Möglichkeit eines Verstoßes gegen § 47 Abs. 2 PBefG rechnet. Dies kann dann der Fall sein, wenn ihm vor der Abmahnung bereits andere Verstöße bekannt waren.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
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Schriftleiter mittelstandsdepesche
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