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Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart



I.
Urlaubsdauer bei kurzfristiger Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.10.2015, Az. 9 AZR 224/14

Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht nach § 7 Abs. 4 BurlG ein Anspruch auf Abgeltung des wegen der Beendigung nicht erfüllten Anspruchs auf Urlaub. Wird danach ein neues Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber begründet, ist dies in der Regel urlaubsrechtlich eigenständig zu behandeln. Der volle Urlaubsanspruch wird erst nach (erneuter) Erfüllung der Wartezeit des § 4 BurlG erworben. Der Teilurlaub gemäß § 5 BurlG berechnet sich grundsätzlich eigenständig für jedes Arbeitsverhältnis.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Januar 2009 beschäftigt. Arbeitsvertraglich schuldete die Beklagte jährlich 26 Arbeitstage Urlaub in der 5-Tage-Woche. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012. Am 21. Juni 2012 schlossen die Parteien mit Wirkung ab dem 2. Juli 2012 (Montag) einen neuen Arbeitsvertrag. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund fristloser Kündigung der Beklagten am 12. Oktober 2012. Die Beklagte gewährte dem Kläger 2012 drei Tage Urlaub.

Die Parteien haben noch darüber gestritten, ob die Beklagte verpflichtet ist, über 17 hinaus weitere sechs Urlaubstage mit 726,54 Euro brutto abzugelten. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, mit Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses beginne ein vom vorherigen Arbeitsverhältnis unabhängiger neuer urlaubsrechtlicher Zeitraum. Der Kläger habe deshalb für beide Arbeitsverhältnisse nur Teilurlaubsansprüche erworben. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Jedenfalls in den Fällen, in denen aufgrund vereinbarter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereits vor Beendigung des ersten Arbeitsverhältnisses feststeht, dass es nur für eine kurze Zeit unterbrochen wird, entsteht ein Anspruch auf ungekürzten Vollurlaub, wenn das zweite Arbeitsverhältnis nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet.

Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2015&nr=18280&pos=0&anz=47&titel=Urlaubsdauer_bei_kurzfristiger_Unterbrechung_des_Arbeitsverh%E4ltnisses

II.
Leiharbeitnehmer zählen für Art der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 4. November 2015, Az. 7 ABR 42/13

Wahlberechtigte Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen sind für den Schwellenwert von in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmern mitzuzählen, ab dessen Erreichen die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) grundsätzlich nicht mehr als unmittelbare Wahl, sondern als Delegiertenwahl durchzuführen ist.

Nach § 9 Abs. 1 MitbestG werden die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer eines Unternehmens mit in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmern durch Delegierte gewählt, sofern nicht die wahlberechtigten Arbeitnehmer die unmittelbare Wahl beschließen. § 9 Abs. 2 MitbestG bestimmt, dass die Wahl in Unternehmen mit in der Regel nicht mehr als 8.000 Arbeitnehmern in unmittelbarer Wahl erfolgt, sofern nicht die wahlberechtigten Arbeitnehmer die Wahl durch Delegierte beschließen.

Das MitbestG definiert den Begriff „Arbeitnehmer“ nicht selbst, sondern verweist in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MitbestG auf den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff des § 5 Abs. 1 BetrVG. Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat unter Fortführung seiner neueren Rechtsprechung, nach der die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs insbesondere von einer normzweckorientierten Auslegung des jeweiligen gesetzlichen Schwellenwertes abhängt, entschieden, dass für die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 und Abs. 2 MitbestG jedenfalls wahlberechtigte Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen mitzuzählen sind. Der Senat hatte nicht darüber zu befinden, ob Leiharbeitnehmer auch bei anderen Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung in die Berechnung einbezogen werden müssen.

Wie in den Vorinstanzen blieb damit der Antrag von 14 in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern, den Hauptwahlvorstand zu verpflichten, die Wahl als unmittelbare Wahl durchzuführen, beim Bundesarbeitsgericht erfolglos. Der Hauptwahlvorstand hatte unter Einbeziehung von 444 auf Stammarbeitsplätzen eingesetzten wahlberechtigten Leiharbeitnehmern eine Gesamtbeschäftigtenzahl in dem Unternehmen von 8.341 Personen festgestellt. Der Beschluss, die Aufsichtsratswahl als Delegiertenwahl durchzuführen, entspricht daher der vom Gesetz in § 9 Abs. 1MitbestG vorgesehenen Regelwahlart.

Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2015&nr=18306&pos=0&anz=52&titel=Leiharbeitnehmer_z%E4hlen_f%FCr_Art_der_Wahl_der_Aufsichtsratsmitglieder_der_Arbeitnehmer

III.
Versorgungsausgleich – Bindungswirkung familiengerichtlicher Entscheidungen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. November 2015, Az. 3 AZR 813/14

Nach § 10 Abs. 1 VersAusglG überträgt das Familiengericht bei einem im Wege der internen Teilung durchgeführten Versorgungsausgleich dem ausgleichsberechtigten Ehegatten ein Anrecht zu Lasten des Anrechts des Versorgungsberechtigten. An diesem Verfahren ist auch der Versorgungsträger beteiligt. Die Entscheidung des Familiengerichts entfaltet in einem nachfolgenden Rechtsstreit zwischen dem Versorgungsberechtigten und dem Versorgungsträger über die Höhe der durch den Versorgungsausgleich bedingten Kürzung der Betriebsrente Bindungswirkung hinsichtlich des der Entscheidung zugrunde liegenden Berechnungswegs.

Der Kläger bezieht eine Altersrente von der beklagten Pensionskasse. Nachdem er von seiner Ehefrau geschieden wurde, wurde vom Familiengericht ein Versorgungsausgleich durchgeführt. Auf Antrag seiner geschiedenen Ehefrau wurde dieser Versorgungsausgleich vom Familiengericht später abgeändert. Das Familiengericht übertrug seiner geschiedenen Ehefrau im Wege der internen Teilung ein Anrecht zu Lasten des Anrechts des Klägers bei der Beklagten. Infolge der familiengerichtlichen Entscheidung kürzte die Beklagte die Betriebsrente des Klägers. Der Kläger war der Ansicht, die Beklagte dürfe seine Betriebsrente nur in Höhe des zu Gunsten seiner geschiedenen Ehefrau begründeten Anrechts kürzen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Dritten Senat keinen Erfolg. Aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Familiengerichts durfte die Beklagte die Betriebsrente des Klägers um einen höheren Betrag kürzen. Es ist allein Aufgabe der Familiengerichte, die rechtlichen Vorgaben des Versorgungsausgleichs zu klären.

Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2015&nr=18308&pos=1&anz=55&titel=Versorgungsausgleich_-_Bindungswirkung_familiengerichtlicher_Entscheidungen

IV.
Gleichbehandlung Arbeiter und Angestellte
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. November 2015, Az. 3 AZR 575/14

Eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten ist nicht zu beanstanden, wenn mit der Anknüpfung an den Statusunterschied gleichzeitig auf einen Lebenssachverhalt abgestellt wird, der geeignet ist, die Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen.

Bei der Beklagten gilt eine als Betriebsvereinbarung abgeschlossene Versorgungsordnung, wonach die Höhe der Betriebsrente ua. von der Einreihung in eine der 21 Versorgungsgruppen abhängt. Die Zuordnung der Angestellten zu den Versorgungsgruppen richtet sich nach sog. Rangstufen, die Zuordnung der Arbeiter nach sog. Arbeitswerten. Bis zur Versorgungsgruppe 14 können in die Versorgungsgruppen sowohl Arbeiter als auch Angestellte eingereiht werden.

Der Kläger, der in die Versorgungsgruppe 10 eingereiht ist, hat mit seiner Klage die Einordnung in eine höhere Versorgungsgruppe begehrt. Seine Klage blieb - wie bereits in den Vorinstanzen - auch vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Die Versorgungsordnung der Beklagten verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die unterschiedliche Zuordnung der Arbeiter und Angestellten zu den Versorgungsgruppen knüpft an die bei Erlass der Versorgungsordnung geltenden unterschiedlichen Vergütungssysteme für beide Beschäftigtengruppen an. Entgegen der Ansicht des Klägers wurden die Arbeiter bei der konkreten Zuordnung zu den Versorgungsgruppen auch nicht gegenüber den Angestellten unzulässig benachteiligt. Die Betriebsparteien haben die Zuordnung der Arbeiter und Angestellten zu den Versorgungsgruppen anhand der von den Arbeitnehmern durchschnittlich erreichbaren Vergütungen vorgenommen. Dies ist nicht zu beanstanden.

Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2015&nr=18310&pos=0&anz=55&titel=Gleichbehandlung_Arbeiter_und_Angestellte

V.
Sozialplanabfindung - Benachteiligung wegen Behinderung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. November 2015, Az. 1 AZR 938/13

Eine unmittelbar an das Merkmal der Behinderung knüpfende Bemessung einer Sozialplanabfindung ist unwirksam, wenn sie schwerbehinderte Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern, die in gleicher Weise wie sie von einem sozialplanpflichtigen Arbeitsplatzverlust betroffen sind, schlechter stellt.

Nach einem von den Betriebsparteien vereinbarten Sozialplan errechnet sich die Abfindung für die Milderung der Nachteile aus einem Arbeitsplatzverlust wegen einer Betriebsänderung individuell nach dem Bruttomonatsentgelt, der Betriebszugehörigkeit und einem Faktor (Formelberechnung). Die hiernach ermittelte Abfindung ist bei vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern, welche nach einem Arbeitslosengeldbezug von längstens zwölf Monaten die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erstmals in Anspruch nehmen können, auf maximal 40.000 Euro begrenzt. Hingegen sind Mitarbeiter, die aufgrund einer Schwerbehinderung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rente beanspruchen können, von der individuellen Abfindungsberechnung ausgenommen. Sie erhalten eine Abfindungspauschale in Höhe von 10.000 Euro sowie einen Zusatzbetrag von 1.000 Euro, der allen schwerbehinderten Arbeitnehmern zusteht.

Der 1950 geborene und schwerbehinderte Kläger war seit Mai 1980 bei der Beklagten beschäftigt. Anlässlich der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am

1. März 2012 erhielt er neben dem Zusatzbetrag weitere 10.000 Euro als Abfindung, die sich nach der Formelberechnung ansonsten auf 64.558 Euro belaufen hätte. Mit seiner Klage hat er zuletzt die Zahlung einer weiteren Abfindung in Höhe von 30.000 Euro unter Berücksichtigung der Begrenzung für rentennahe Jahrgänge verlangt.

In diesem Umfang haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Differenziert ein Sozialplan für die Berechnung einer Abfindung zwischen unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen, hat ein damit einhergehender Systemwechsel die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu beachten. In der Regelung über den pauschalierten Abfindungsbetrag für Arbeitnehmer, die wegen ihrer Schwerbehinderung rentenberechtigt sind, liegt eine unmittelbar an das Merkmal der Behinderung knüpfende Ungleichbehandlung. Diese benachteiligt behinderte Arbeitnehmer, denen nach einer für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer geltenden Berechnungsformel ein höherer Abfindungsbetrag zustehen würde. Sie darf gemäß § 7 Abs. 2 AGG ihnen gegenüber nicht angewendet werden.

Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2015&nr=18315&pos=0&anz=56&titel=Sozialplanabfindung_-_Benachteiligung_wegen_Behinderung

VI.
Betriebliche Altersversorgung - Auskunft über unverfallbare Anwartschaft
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13.2.2015, Az. 12 Sa 68/14

Erteilt der Arbeitgeber gem. § 4 a BetrAVG eine Auskunft über die erworbene unverfallbare Anwartschaft, kann der Inhalt der Auskunft in einem nachfolgenden Prozess mit dem Betriebsrentner weder vom Arbeitgeber noch von einem Rechtsnachfolger wirksam mit Nichtwissen bestritten werden.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2015&Seite=2&nr=19927&pos=21&anz=28

VII.
Wiedereinstellung nach Verdachtskündigung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22.5.2015, Az. 12 Sa 5/15

1. Ein Wiedereinstellungsanspruch nach einer arbeitsgerichtlich für zulässig erachteten Verdachtskündigung ist nicht schon deshalb begründet, weil das Strafgericht den Arbeitnehmer im nachfolgenden Strafprozess wegen erwiesener Unschuld freigesprochen hat. Ein berechtigtes Rehabilitierungsinteresse des Arbeitnehmers besteht nur dann, wenn dem strafgerichtlichen Urteil Tatsachen zu Grunde liegen, die im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren noch nicht bekannt waren.

2. Wirtschaftliche Nachteile oder immaterielle Beeinträchtigungen, die der Arbeitnehmer in Folge einer rechtmäßigen (Verdachts)Kündigung erleidet, stellen keinen ersatzfähigen Schaden dar.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2015&Seite=0&nr=19960&pos=8&anz=28

VIII.
Weitergabe von Tariflohnerhöhungen aufgrund betrieblicher Übung
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 23.09.2015, Az. 10 Sa 647/15

Die Begründung einer betrieblichen Übung zur Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung setzt voraus, dass es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will.

Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2015/10_Sa_647_15_Urteil_20150923.html

IX.
Kündigungsfrist in der Probezeit
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 7.10.2015, Az. 7 Sa 495/15

Widersprüchliche Regelungen zur Dauer der Kündigungsfrist in der Probezeit

Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2015/NRWE_LAG_D_sseldorf_7_Sa_495_15_Urteil_20151007.html

X.
Anwaltsgerichtshof verhängt Geldbuße nach strafrechtlicher Verurteilung wegen versuchten Prozessbetruges
Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen, Urteil des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofes vom 14.08.2015, Az. 2 AGH 20/14

Gegen einen wegen versuchten Prozessbetruges rechtskräftig verurteilten Rechtsanwalt können auch anwaltsgerichtliche Maßnahmen - vorliegend die Verhängung einer Geldbuße von 500 Euro - erforderlich sein, um den Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner anwaltlichen Berufspflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren. Das hat der 2. Senat des Anwaltsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen am 14.08.2015 entschieden.
Der 1967 geborene angeschuldigte Rechtsanwalt praktiziert in Düsseldorf. Für einen Mandanten verfolgte der Angeschuldigte im Jahre 2009 Ansprüche aus der Inanspruchnahme von 0900-Mehrwertrufnummern in Höhe von 36,26 Euro und 15,74 Euro, jew. zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 36,54 Euro, die das seinerzeit zuständige Amtsgericht Idstein rechtskräftig abwies. Nach dem Umzug des in dem Zivilprozess Beklagten klagte der Angeschuldigte dieselben Ansprüche für seinen Mandanten beim Amtsgericht Freising erneut ein, ohne den Erstprozess in seiner Klagebegründung zu erwähnen. Auch diese Klagen waren nicht erfolgreich. Das Amtsgericht Freising sah in dem Verhalten des Angeschuldigten zudem einen versuchten Prozessbetrug und verurteilte ihn in einem Strafverfahren zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro, die das Landgericht Landshut im Berufungsverfahren auf 1.200 Euro reduzierte. Eine Revision des Angeschuldigten zum Oberlandesgericht München und eine Verfassungsbeschwerde gegen die strafrechtliche Verurteilung blieben erfolglos.
Mit seinem Urteil vom 14.08.2015 hat der 2. Senat des Anwaltsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen gegen den Angeschuldigten eine Geldbuße von 500 Euro verhängt und einen bereits in erster Instanz vom Anwaltsgericht Düsseldorf ausgesprochenen Verweis bestätigt.
Nach dem rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts Landshut stehe fest - so der 2. Senat des Anwaltsgerichtshofes -, dass der Angeschuldigte in Kenntnis der vom Amtsgericht Idstein rechtskräftig abgewiesenen Ansprüche dieselben Ansprüche beim Amtsgericht Freising erneut eingeklagt habe, ohne den Erstprozess zu erwähnen. So habe er bei dem zur Entscheidung des Zweitprozesses berufenen Richter die unzutreffende Vorstellung einer zulässig und schlüssig erhobenen Klage hervorrufen wollen. Das sei in beiden Fällen ein versuchter Prozessbetrug, weil der Angeschuldigte gewusst habe, dass seinem Mandanten die im Zweitprozess geltend gemachten Ansprüche schon aufgrund ihrer rechtskräftigen Aberkennung im Erstprozess nicht zugestanden hätten. Als Rechtsanwalt sei der Angeschuldigte gehalten gewesen, die unstreitige Tatsache des Erstprozesses im Zweitprozess vorzutragen, weil die Parteien eines Zivilprozesses gemäß § 138 Zivilprozessordnung verpflichtet seien, im Prozess vollständig und wahrheitsgemäß vorzutragen.
Die strafrechtliche Verurteilung greife nicht in die Berufsfreiheit des Angeschuldigten ein. Die Freiheit der Advokatur oder die Stellung eines Anwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege werde nicht dadurch beeinträchtigt, dass vom Anwalt zu verlangen sei, ihm bekannte, unstreitige und in Zivilprozessen nach allgemeinen Grundsätzen erhebliche Tatsachen, die der Zulässigkeit oder Begründetheit seiner Klage entgegenstehen, vorzutragen und nicht zu unterdrücken.
Von einer anwaltsgerichtlichen Ahndung könne auch nicht wegen der bereits erfolgten strafrechtlichen Verurteilung des Angeschuldigten abgesehen werden. Der Versuch des Angeschuldigten, dem eigenen Mandanten einen Vollstreckungstitel zu erschwindeln, sei in besonderem Maße geeignet, Achtung und Vertrauen der Rechtsuchenden zu beeinträchtigen. Der Senat halte es deswegen für erforderlich, den Angeschuldigten durch die Verhängung anwaltsgerichtlicher Maßnahmen zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren, zumal das Landgericht Landshut dies im Rahmen seiner Strafzumessungserwägungen nicht besonders berücksichtigt habe.
Der Angeschuldigte habe seine anwaltlichen Berufspflichten vorsätzlich verletzt. In den beiden Taten des versuchten Betruges liege eine Verletzung der allgemeinen anwaltlichen Berufspflicht und der anwaltlichen Wahrheitspflicht. Jeder bewusst wahrheitswidrige Vortrag vor Gericht oder einer Behörde sowie solche Angaben gegenüber Mandanten und gegnerischem Anwalt seien mit § 1 Bundesrechtsanwaltsordnung unvereinbar und damit pflichtwidrig. Das Unterdrücken von Tatsachen sei in dem Fall, in dem eine Rechtspflicht zu Vortrag bestehe, gleichwertig.
Auch wenn der Angeschuldigte insgesamt nur einen Vermögensvorteil in der Größenordnung von etwa 300 Euro erstrebt habe, lägen gravierende Verstöße gegen die anwaltlichen Berufspflichten vor, die das Anwaltsgericht zu Recht mit einem Verweis und einer Geldbuße geahndet habe. Die Geldbuße sei aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Angeschuldigten und der bereits erfolgten strafrechtlichen Verurteilung auf 500 Euro festzusetzen.

Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseOLGs/15_10_2015_/index.php

Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Ihr

Michael Henn
Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident
 
 
VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.
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