Aufklärungsrichtiges Verhalten / Der geschädigte Kapitalanleger und die Beweislast
Neue Einvernahme von Partei und Zeugen in der Berufung wenn abweichende Bewertung des Gesagten erfolgt
Bankrecht & Kapitalmarktrecht , Zivilprozessrecht
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 17.09.2013 ausgeführt, dass das Berufungsgericht eine Partei neu informatiorisch zu befragen hat, soweit eine seitens der Partei in erster Instanz getätigte Aussage anders interpretiert werden soll, als dies der Tatsachenfeststellung des Ersgerichtes entspricht. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist verletzt, soweit eine andere Interpretation des tatsächlich Gesagten einer Partei erfolgt und diese nicht erneut einvernommen wurde und das Erstgericht die Einvernahme der Partei als Tatsachenfeststellung anders gewertet hat, als dies nun das Berufungsgericht wünscht.
In der Entscheidungsgründen des zurückverweisenden Beschlusses mit dem Aktenzeichen XI ZR 394-12 könenne auf der Homepage des Bundesgerichtshofes unter folgendem LINK
http://www.bundesgerichtshof.de/DE/Entscheidungen/EntscheidungenBGH/entscheidungenBGH_node.html
folgende zielführende Rechtsgrundsätze entnommen werden:
a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist aber eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5). Insbesondere muss das Berufungsgericht einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es dessen Aussage anders würdigen will als die Vorinstanz (Senatsurteile vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515 und vom 28. November 1995 - XI ZR 37/95, WM 1996, 196, 198; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 - VIII ZR 340/98, NJW 2000, 1199, 1200.
Und, so die weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofes, von diesem Rechtsgrundsatz darf grundsätzlich nicht abgewichen werden. So wird ausgeführt:
Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit der Aussage betreffen (BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, 3286; Urteil vom 10. März 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223).
Dabei hatte der Bundesgerichtshof auch klargestellt, dass diese Grundsätze, die für den Zeugenbeweis entwickelt worden waren auch im Fall der Parteieinvernahme anzuwenden sind. So ist den Entscheidungsgründen auch zu entnehmen:
Diese Grundsätze gelten nach § 451 ZPO für die Parteivernehmung entsprechend. Auch von der Würdigung der Aussage der Partei darf das Rechtsmittelgericht nicht abweichen, ohne die Partei erneut vernommen zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 1981 II ZR 11/81, VersR 1981, 1175, 1176; Urteil vom 16. Juli 1998 I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364). Trägt das Berufungsgericht dem nicht Rechnung, liegt darin ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Der Bundesgerichtshof stellte in dieser Entscheidung fest, dass der Grundsatz auf rechtliches Gehör verletzt ist und führte weiter aus:
b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Das Landgericht hat auf der Grundlage eines erheblichen Beweisangebots der Beklagten gemäß seinem persönlichen Eindruck anlässlich der Vernehmung des Klägers als Partei und aufgrund der sonst von ihm gewürdigten Umstände die Überzeugung gewonnen, dem Kläger, dem es um die Ersparnis von Steuern gegangen sei, sei es unwichtig gewesen, ob eine Anschlussförderung gewährleistet sei oder nicht.
Dieses Beweisergebnis hat das Berufungsgericht mit der Erwägung in Zweifel gezogen, es sei "für einen durchschnittlichen Anlageinteressenten durchaus vernünftig" gewesen, "nicht in dieses Vorhaben zu investieren". Es hat damit in der Sache nicht (bloß) einen falschen Maßstab angelegt und bei der Beurteilung der Frage, ob die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens widerlegt sei, anstelle einer konkreten Betrachtung der Motivation des Klägers auf den "durchschnittlichen Anleger" abgestellt.
Vielmehr hat das Berufungsgericht - wie aus dem Zitat des Urteils des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. März 2010 (II ZR 203/08, juris Rn. 24, 28) und aus der Entscheidung zur Ursächlichkeit des Verschweigens der Rückvergütung für die Anlageentscheidung des Klägers mittels des Verweises auf die Überlegungen des Landgerichts hervorgeht - zwar die Perspektive des Klägers eingenommen, dann aber dessen mutmaßliche Entscheidung anders eingeschätzt. Daran war es ohne erneute Vernehmung des Klägers als Partei gehindert. Da es eine Beweislastentscheidung getroffen hat, war sein Vorgehen auch nicht von § 445 Abs. 2 ZPO gedeckt.
MJH Rechtsanwälte Martin J. Haas meint: Eine wichtige Entscheidung. Der Grundsatz des sogenannten aufklärungsrichtigen Verhaltens, definiert zuletzt vom BGH unter anderem in seiner Entscheidung vom 8. Mai 2012 ( XI ZR 262/10) enthält u.a. folgende Leitsätze:
a) Derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, ist beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte (Bestätigung von Senatsurteil vom 16. November 1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 159 f.).
b) Diese Beweislastumkehr greift bereits bei feststehender Aufklärungspflichtverletzung ein. Es kommt bei Kapitalanlagefällen nicht darauf an, ob ein Kapitalanleger bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Das Ab-stellen auf das Fehlen eines Entscheidungskonflikts ist mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr nicht zu vereinbaren (Aufgabe von Senatsurteil vom 16. November 1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 161).
Interessantes ist dieser Entscheidung auch zur Pflicht des Tatgerichts, den von der Beklagten benannten Kläger als Partei zu der Behauptung zu vernehmen, der Kläger hätte die Anlage auch bei Kenntnis von Rückvergütungen erworben.
Diese Grundsätze werden manchmal einfach nicht eingehalten. Gerichte halten sie ggf. für überflüssig und weisen einfach Klagen ab. Manchmal werden aber auch diese Verpflichtungen zur Anhörung eingehalten und es kommt zu erstaunlichen Gerichtsentscheidungen mit an den „Haaren herangezogenen“ Begründungen. So wie diehjenige, über welche der BGH in seiner Entscheidung vom 17.09.2013 berichtet:….. der Anleger hätte auch sehenden Auges in eine Kapitalanlage investiert, wenn ihm Umstände bekannt gewesen wären die Zweifel an der Durchführbarkeit der Kapitalanlage selbst einen vernünftig denkenden Menschen hiervon hätten Abstand nehmen lassen… .Wie dieses Ergebnis des Erstgerichts noch überhaupt denklogisch nachvollziehbar sein soll erschließt sich m.E. jedenfalls nicht.
In dem vom BGH in seiner Entscheidung vom 17.09.2013 behandelten Fall hatte das Erstgericht im Rahmen der anzustellenden Prüfung den Eindruck gewonnen, dass es dem Kläger angeblich egal gewesen sei, ob eine Anschlussförderung des Immobilienfonds gewährleistet ist oder nicht. Dies ist ein u.E. etwas weltfremdes Ergebnis. Häufig verhielt es sich in Fällen der sogenannten Berlin-Immobilien nämlich so dass der Wirtschaftsplan und das Finanzierungskonzept der Fonds von einer weiteren Steuerförderung ausgegangen worden war. Aufgrund der ausbleibenden Steuerförderung für die Immobilienfonds, die ausblieb nachdem das Land Berlin aufgrund leerer Haushaltskassen strich, scheiterten dann häufig die Folge-Finanzierungen der Fonds durch die Banken, was den Fonds notleidend machte und nicht selten erst den Fonds und dann auch einige Anleger in die Insolvenz trieb. Dies, weil die am Fonds beteiligten Investoren insbesondere bei GBR-Fonds zu beträchtlichen Nachhaftungen also der Leistung von Nachschüssen verpflichtet waren.
Die Unterstellung des Erstgerichts dass es einem Anleger egal sei über eine solche Steuerförderung bzw. der Gefahr des Wegfalles unterrichtet gewesen zu sein oder nicht ist damit schwer vermittelbar für diejenige die hunderttausende von Euros in derartige Investitionen verloren haben.
So ist die Entscheidung des Berufungsgericht, die völlig weltfremde Unterstellung des Erstgerichts im Rahmen des Anscheinsbeweises des Aufklärungsrichtigen Verhaltens in zweiter Instanz mit den Argumenten : … es wird in Zweifel gezogen, es sei "für einen durchschnittlichen Anlageinteressenten durchaus vernünftig" gewesen, "nicht in dieses Vorhaben zu investieren" augenscheinlich eher der Sach- und Rechtslage gerecht als die Unterstellung des Erstgerichts dem Investor sei es egal gewesen ob eine für die Durchführung der Kapitalanlage notwendige Grundlage für die Finanzierung – nämlich die weitere Steuerförderung- entfällt oder nicht.
Dennoch handelte das Berufungsgericht nicht rechtens, da eben zu dieser Thematik erneut die Partei hätte angehört werden müssen. Zurückverweisungen dieser Art sind für alle betroffenen Parteien eine besondere Anstrengung. Wir wünschen in dieser Rechtssache den verdienten Erfolg.
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