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Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


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Urteile, die Ihre Leser interessieren könnten

zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart



I.
unwirksame Klausel in AGB
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.09.2013, Az. 1 Sa 61/13,

Die Klausel
"Der Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestätigen mit ihrer Unterschrift, dass alle gegenseiteigen Ansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund, aus dem Arbeitsverhältnis, außer die oben genannten Ansprüche, und in Verbindung mit dessen Beendigung erfüllt sind.
in einem Vertrag ist unwirksam, soweit es sich um AGB handelt

http://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/93A06563035BEB1CC1257C190028DBFA/$file/U_1Sa61-13_24-09-2013.pdf

II.
Schließung einer Krankenkasse - arbeitsrechtliche Folgen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.11.2013, Az. 2 AZR 474/12
Eine Betriebskrankenkasse kann nach § 153 Sozialgesetzbuch V (SGB V) von der Aufsichtsbehörde geschlossen werden. In diesem Fall ist denjenigen Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann, beim Landesverband der Betriebskrankenkassen oder einer anderen Betriebskrankenkasse eine ihrer bisherigen Dienststellung vergleichbare, zumutbare Stellung anzubieten (§ 155 Abs. 4 Satz 9, § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V). Für Beschäftigte von Betriebskrankenkassen, deren Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt werden kann, gilt diese Regelung nicht. Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V enden die Vertragsverhältnisse der Beschäftigten, „die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden“, mit dem Tag der Schließung der Kasse.
Nachdem die „City-BKK“ mit Sitz in Stuttgart und die „BKK-Heilberufe“ mit Sitz in Düsseldorf zum 30. Juni 2011 bzw. 31. Dezember 2011 vom Bundesversicherungsamt geschlossen worden waren, erhielten sämtliche 400 bzw. 270 Beschäftigten die Mitteilung, ihre Arbeitsverhältnisse endeten zum jeweiligen Schließungszeitpunkt. Vorsorglich sprachen die Arbeitgeberinnen außerordentliche Kündigungen mit Auslauffristen und - wo rechtlich möglich - ordentliche Kündigungen zum Schließungszeitpunkt, hilfsweise zum Ablauf der einschlägigen Kündigungsfristen aus. Hunderte von Beschäftigten haben gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses Klage erhoben.
In den ersten vier - von etwa 280 - Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht hat der Zweite Senat des Gerichts den Klagen - wie zuvor die Landesarbeitsgerichte - stattgegeben. Den beiden Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung nicht beendet werden konnte, war eine zumutbare Stellung beim Landesverband oder einer anderen Betriebskrankenkasse nicht angeboten worden. Ihre Arbeitsverhältnisse haben aus diesem Grunde am Tag der Schließung nicht geendet. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist dahin zu verstehen, dass die gesetzliche Anordnung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Angebot einer zumutbaren Stellung im Sinne von § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V voraussetzt.
Auch die beiden Arbeitsverhältnisse, die durch ordentliche Kündigung beendet werden konnten, haben nicht mit dem Tag der Schließung geendet. Eine an Wortlaut, Entstehungsgeschichte und gesetzgeberischem Zweck orientierte Auslegung der einschlägigen Vorschriften ergibt, dass die gesetzliche Anordnung in § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V - da den betreffenden Arbeitnehmern eine zumutbare Stellung bei einer anderen Betriebskrankenkasse zuvor nicht angeboten worden sein muss - für solche Arbeitsverhältnisse nicht gilt. Sie unterliegen allein den Regelungen des Kündigungsschutzrechts.
Die vorsorglich erklärten (außer-)ordentlichen Kündigungen waren in allen vier Fällen rechtsunwirksam. Bei Ablauf der Kündigungsfristen lagen dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer entgegengestanden hätten, nicht vor.

Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2013&nr=17020&pos=0&anz=72&titel=Schlie%DFung_einer_Krankenkasse_-_arbeitsrechtliche_Folgen

III.
Keine Passivlegitimation des Insolvenzverwalters für Kündigungsschutzklage nach Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.11.2013, Az. 6 AZR 979/11

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers geht nach § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die bestehenden Arbeitsverhältnisse auf den Insolvenzverwalter über. Eine Kündigungsschutzklage ist dann gegen den Insolvenzverwalter in seiner Eigenschaft als Partei kraft Amtes zu richten, und zwar auch dann, wenn die Kündigung noch vom Insolvenzschuldner erklärt wurde.

Übt der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber eine selbständige Tätigkeit aus und gibt der Insolvenzverwalter diese nach § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse frei, fällt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis mit Wirksamwerden der Freigabeerklärung auch über die zu diesem Zeitpunkt bereits begründeten Arbeitsverhältnisse an den Schuldner zurück. Ab dann ist der Schuldner und nicht mehr der Insolvenzverwalter passiv legitimiert für eine Kündigungsschutzklage.

Der Kläger war seit 6. Mai 2010 beim Schuldner, der als Einzelunternehmer einen Kurier- und Kleinsttransportbetrieb führte, als Kraftfahrer beschäftigt. Am 15. Mai 2010 kündigte der Schuldner das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich. Am 20. Mai 2010 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Einen Tag später erklärte der Beklagte gegenüber dem Schuldner, dass er die von ihm ausgeübte selbständige Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse freigebe. Mit seiner am 1. Juni 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage will der Kläger gegenüber dem Insolvenzverwalter festgestellt wissen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht fristlos, sondern ordentlich beendet wurde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht mangels Passivlegitimation des Insolvenzverwalters abgewiesen.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2013&nr=17018&pos=1&anz=72&titel=Keine_Passivlegitimation_des_Insolvenzverwalters_f%FCr_K%FCndigungsschutzklage_nach_Freigabe_gem%E4%DF_%A7%A035_Abs.%A02_InsO

IV.
Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen durch ein Schwesterunternehmen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.11.2013, Az.6 AZR 159/12

Die Insolvenzordnung gibt dem Insolvenzverwalter mit den Anfechtungstatbeständen in §§ 129 ff. InsO eine Handhabe, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene, ungerechtfertigte Schmälerungen der Insolvenzmasse rückgängig zu machen. Nach § 131 InsO kann eine Rechtshandlung ua. dann angefochten werden, wenn eine Forderung eines Insolvenzgläubigers erfüllt worden ist, ohne dass er dies „in der Art“ beanspruchen konnte. Dann liegt eine inkongruente Deckung vor. Weist der Schuldner einen Dritten an, die geschuldete Leistung gegenüber dem Gläubiger zu erbringen, bewirkt die Zahlung im Regelfall eine inkongruente Deckung, weil die Erfüllung nicht „in der Art“ erfolgt, in der sie geschuldet ist. Das gilt auch, wenn der Schuldner und der Dritte Schwesterunternehmen sind oder einen Gemeinschaftsbetrieb unterhalten. Etwas anderes ist nur dann anzunehmen, wenn die Zahlung auf einer dreiseitigen, insolvenzfest getroffenen Abrede beruht.

Der Kläger war bis zum 31. Januar 2009 bei der Schuldnerin als Polier beschäftigt. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde auf Antrag vom 19. Januar 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin war zugleich alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer eines Schwesterunternehmens. Die Schuldnerin führte hauptsächlich Aufträge dieses Unternehmens aus. Beide Unternehmen unterhielten denselben Geschäftssitz, nutzten denselben Geschäftsraum und führten Verrechnungskonten. Vom 30. Oktober 2008 bis zum 12. Januar 2009 erhielt der Kläger fünf Zahlungen über insgesamt 3.656,75 Euro vom Konto des Schwesterunternehmens als Entgelt für August bis Oktober 2008. Der Beklagte hat diese Zahlungen ua. nach § 131 InsO angefochten und mit seiner Widerklage die Rückzahlung zur Masse verlangt. Der Kläger hat geltend gemacht, er habe diese Zahlungen nicht als verdächtig empfunden, weil Lohnzahlungen durch das Schwesterunternehmen nicht unüblich gewesen seien und er auch für dieses tätig geworden sei.

Das Landesarbeitsgericht hat, anders als das Arbeitsgericht, eine Rückzahlungspflicht des Klägers verneint; die Zahlungen hätten eine kongruente Deckung bewirkt. Auf die Revision des Beklagten hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses hat zu Unrecht angenommen, dass eine kongruente Deckung deshalb vorliege, weil die Unternehmen im Ergebnis alles aus einem „Topf“ entnommen hätten. Diese Annahme widerspricht wesentlichen Grundgedanken des Insolvenzverfahrens, das rechtsträgerbezogen ausgestaltet ist. Es ist noch aufzuklären, ob eine Gläubigerbenachteiligung erfolgt ist, ob die Schuldnerin zahlungsunfähig war und ob weitere Anfechtungstatbestände erfüllt sind.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2013&nr=17016&pos=2&anz=72&titel=Insolvenzanfechtung_von_Lohnzahlungen_durch_ein_Schwesterunternehmen

V.
Mindestgröße für Pilotinnen und Piloten - Mittelbare Diskriminierung durch einen Tarifvertrag
Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 28.11.2013, Az. 15 Ca 3879/13

Das Arbeitsgericht Köln hat am 28.11.2013 entschieden, dass die tarifliche Regelung einer notwendigen Körpergröße von 165 cm bis 198 cm für Pilotinnen und Piloten weibliche Bewerber mittelbar diskriminiert, da diese Regelung deutlich mehr Frauen als Männer von der Pilotenausbildung ausschließe. Eine sachliche Rechtfertigung der Mindestgröße habe das beklagte Luftfahrtunternehmen nicht darlegen können, zumal bei einem Schwesterunternehmen eine Mindestgröße von nur 160 cm ausreiche.

Geklagt hatte eine junge Frau, die sich vergeblich zur Ausbildung als Pilotin beworben hatte. Die Beklagte hatte den Abschluss eines Ausbildungsvertrages abgelehnt, weil die 161,5 cm große Klägerin die tariflich vorgesehene Mindestgröße um 3,5 cm unterschritt. Mit ihrer Klage wollte die Bewerberin erreichen, dass das Luftfahrtunternehmen zur Zahlung von Schadensersatz und zur Zahlung einer Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verurteilt wird. Trotz der vom Gericht bejahten mittelbaren Diskriminierung hat die Bewerberin ihre Klage vor dem Arbeitsgericht Köln im Ergebnis verloren.

Die Schadensersatzklage hat das Gericht abgewiesen, weil ein in Geld messbarer Schaden nicht feststellbar war. Die Klägerin wäre bei diskriminierungsfreier Aufnahme in das Ausbildungsverhältnis vielmehr verpflichtet gewesen, selbst einen Beitrag zu den Schulungskosten zu leisten.

Der Entschädigungsanspruch scheiterte daran, dass das beklagte Luftverkehrsunternehmen nach Auffassung des Gerichts nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Ein solcher gesteigerter Verschuldensmaßstab ist jedoch nach § 15 Abs. 3 AGG erforderlich, wenn sich die Diskriminierung – wie vorliegend – aus der Anwendung eines Verbandstarifvertrags ergibt. Von einer Europarechtswidrigkeit der Vorschrift des § 15 Abs. 3 AGG ist das Gericht nicht ausgegangen.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/29_11_2013/index.php

VI.
Entgeltfortzahlung nach mutwilliger Selbstverletzung?
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 23.07.2013, AZ. 4 Sa 617/13

Der Kläger des vorliegenden Rechtsstreits arbeitet als Warenauffüller in einem Baumarkt in Osthessen. Dazu benutzt er einen Gabelstapler. Anfang August 2012 brachte sich der Kläger an dem Gabelstapler ein provisorisches Plexiglasdach als Wetterschutz an. Dies wurde von dem betrieblichen Sicherheitsbeauftragten gerügt. Der Kläger wurde zum Abbau des Plexiglasdaches angehalten. Darüber geriet er derart in Wut, dass er zunächst mit Verpackungsmaterial um sich warf und dann mindestens dreimal mit der Faust auf ein in der Nähe aufgestelltes Verkaufsschild aus Hohlkammerschaumstoff schlug. Dieses war auf einer Holzstrebe montiert, die der Kläger mehrfach traf. Dabei brach er sich die Hand. Er war vom 9. August bis 19. September 2012 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Seine Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung über insgesamt 2662,52 € brutto mit dem Einwand, der Kläger sei an seiner Verletzung selbst schuld. Spätestens nach dem 1. Schlag auf das Verkaufsschild habe er die Holzstrebe spüren müssen. Dennoch habe er voller Wut weiter auf das Verkaufsschild eingeschlagen. Die Verletzung habe er sich somit vorsätzlich beigebracht.

Das Arbeitsgericht Offenbach wie auch das Hessische Landesarbeitsgericht haben der Entgeltfortzahlungsklage dennoch stattgegeben.

Der Verschuldensbegriff im Entgeltfortzahlungsrecht entspreche nicht dem allgemeinen zivilrechtlichen Verschuldensbegriff, der auch mittlere und leichte Fahrlässigkeit umfasst. Er erfordere vielmehr einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen. Dieses setze ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten gegen sich selbst voraus.

Ein solches Verschulden des Klägers liegt nach Ansicht des Hessischen Landesarbeitsgerichts nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, dass er seine Verletzung bewusst herbeiführen wollte. Nach der Auffassung des Hessischen Landesarbeitsgerichts lag nur mittlere Fahrlässigkeit vor. Der Kläger hätte bei verständiger Betrachtung allerdings damit rechnen müssen, dass er durch die Schläge auf das Schild eine Verletzung riskiert. Gegen eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers spreche jedoch, dass er sich offensichtlich in einem heftigen Wut- und Erregungszustand befand und sich dementsprechend kurzzeitig nicht unter Kontrolle hatte. Das sei nicht zu billigen, aber menschlich gleichwohl nachvollziehbar, da niemand in der Lage sei, sich jederzeit vollständig im Griff zu haben. Der Kläger habe aus Wut und Erregung die erforderliche Kontrolle über sein Handeln verloren. Dies sei sicher leichtfertig gewesen, aber nicht derart schuldhaft, dass von besonderer Leichtfertigkeit oder grober Fahrlässigkeit die Rede sein könne.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Siehe:
http://www.lag-frankfurt.justiz.hessen.de/irj/LAG_Hessen_Internet?rid=HMdJ_15/LAG_Hessen_Internet/sub/103/1034e8da-2774-2417-9cda-a2b417c0cf46,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm

VII.
Streitwert - Zwischenzeugnis und Beendigungszeugnis im Rahmen eines Bestandsschutzverfahrens - Vergleichsmehrwert (Freistellung)
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 5.11.2013, Az. 5 Ta 126/13

1.Ein Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses und ein im Verhältnis zum Bestandsschutzantag hilfsweise gestellter Antrag auf Erteilung eines Beendigungszeugnisses können nur nebeneinander bestehen, wenn - über den Zwischenzeugnisantrag ausnahmsweise bereits vorab entschieden wird oder - zum Zeitpunkt der Entscheidung oder des Vergleichsabschlusses die Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht eingetreten ist.

2.Im wohlverstandenen Interesse einer kostenbewusst handelnden Klagepartei erscheint es deshalb - bei Fehlen von Anhaltspunkten für das Gegenteil - sachgerecht, beim Aufeinandertreffen eines Zwischen- und eines im Verhältnis zum Bestandsschutzantrag hilfsweise gestellten Beendigungszeugnisantrags davon auszugehen, dass der Zwischenzeugnisantrag unter der (doppelten) innerprozessualen Bedingung des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag und des zum Zeitpunkt des Ergehens einer Entscheidung oder des Vergleichsabschlusses noch vorhandenen Regelungssubstrats (im Sinne eines gegenüber dem Beendigungszeugnis früheren Beurteilungszeitpunkts bezüglich des Zwischenzeugnisses und möglicher nachträglich eintretender Umstände für die Beurteilung) gestellt wird.

3.Soweit der Zwischenzeugnisantrag ausnahmsweise überhaupt zur Entscheidung anfällt oder mitverglichen wird, ist er auch zu bewerten und zu den Werten des Bestandsschutz- und des Beendigungszeugnisantrags hinzuzuaddieren, weil er mit dem Antrag auf Erteilung eines Beendigungszeugnisses nicht wertidentisch ist. Denn die Anträge auf Erteilung eines Zwischen- und eines Beendigungszeugnisses können im Ausnahmefall nebeneinander bestehen. Auch ist das Interesse nicht identisch. Denn das Zwischenzeugnis ist auf einen früheren Erteilungszeitpunkt gerichtet und muss auf den noch offenen Beendigungszeitpunkt gegenüber inhaltlichen Änderungen offen sein, während das Beendigungszeugnis (erst) auf die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezogen ist.

4.Hat sich der Arbeitgeber im Zuge des Ausspruchs einer Kündigung eines vom Arbeitnehmer bestrittenen Rechts zur Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist berühmt und legen die Parteien diesen Streit im Rahmen des Auflösungsvergleichs durch eine Freistellungsvereinbarung bei, rechtfertigt dies einen Vergleichsmehrwert in Höhe der Bewertung eines Beschäftigungsantrags - und nicht in Höhe der Vergütung während des Freistellungszeitraums oder eines Bruchteils hiervon.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2013&nr=17493&pos=2&anz=54

VIII.

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.11.2013, Az. 5 Ta 135/13

1.Weitere Bestandsschutzanträge neben einem unbefristeten Fortbestandsbegehren führen nicht zu einer wirtschaftlichen Werthäufung und damit nicht zu einer Addition der Werte der einzelnen Bestandsschutzanträge (wie BAG 6. Dezember 1984 - 2 AZR 754/79 -).

2.Ein Vergleichsmehrwert für eine im Rahmen eines Auflösungsvergleichs vereinbarte Freistellung kommt nur in Betracht, wenn eine Partei sich zuvor eines Anspruchs auf oder eines Rechts zur Freistellung berühmt hat, nicht jedoch, wenn die Freistellung nur eine Komponente des "Gesamtpreises" für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses darstellt.

3.Bei Vereinbarung eines "guten" oder "sehr guten" Beendigungszeugnisses anlässlich eines Auflösungsvergleichs, dem ein Streit über die Berechtigung von Leistungs- und/oder Verhaltensmängeln vorausgegangen ist, kommt typischerweise das Vorliegen des Merkmals der Ungewissheit im Sinne des § 779 Abs. 1 BGB für einen Vergleichsmehrwert in Betracht.

4.Die Vereinbarung inhaltlicher Festlegungen im Rahmen eines zu erteilenden Zeugnisses begründet nur bei vorheriger Unsicherheit über die Verwirklichung eines auch bezüglich des Inhalts unstreitigen Zeugnisses und Schaffung eines vollstreckbaren Titels ein Titulierungsinteresse im Sinne des § 779 Abs. 2 BGB.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2013&nr=17495&pos=1&anz=54

IX.
Branchenzuschläge; Deckelung; Vergleichsentgelt; Darlegungslast; Tarifvertrag über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie (TV BZ ME
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 21.11.2013, Az. 24 Ca 4398/13

1.Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach ein Leiharbeitnehmer, der eine sogenannte "Equal-Pay"-Klage erhebt, zur Darlegung des Vergleichsentgelts nach § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG seiner Darlegungslast zunächst allein durch die Vorlage der Auskunft des Entleihers gemäß § 13 AÜG genügt (siehe BAG, Urteil vom 13. März 2013 - 5 AZR 146/12 -, juris, Rn. 22 f m.w.N), kann nicht "spiegelbildlich" auf die Fallkonstellation übertragen werden, in der der Verleiher zur Deckelung tarifvertraglicher Branchenzuschläge sich auf die Auskunft des Entleihers beruft (entgegen Arbeitsgericht Oldenburg, Urteil vom 11.07.2013 - 6 Ca 49/13, unveröffentlicht sowie Arbeitsgericht Osnabrück, Urteil vom 18.09.2013 - 2 Ca 180/13, unveröffentlicht). Dies folgt aus den im Vergleich zum Leiharbeitnehmer erweiterten Informationsmöglichkeiten des Verleihers sowie aus der angesichts der Interessenslage unterschiedlichen Richtigkeitsgewähr der Auskunft in den beiden Fällen.

2.Der Verleiher hat zur Geltendmachung der Deckelung vielmehr alle für die Berechnung des Vergleichsentgelts erforderlichen Tatsachen vortragen. Dazu gehört vorrangig die Benennung eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers, dessen genaue Funktion, sein Aufgabenbereich sowie seine Qualifikation und das ihm vom Entleiher danach gewährte Arbeitsentgelt. Im Falle der Berufung auf ein allgemeines Entgeltschema gehört hierzu dessen Anwendbarkeit sowie die danach vorzunehmende fiktive Eingruppierung des Leiharbeitnehmers.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2013&nr=17515&pos=0&anz=54

X.
Keine  Schadensersatzansprüche von Fluggesellschaften und der FRAPORT AG gegen die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) wegen eines  Streiks und eines angekündigten Unterstützungsstreik am Flughafen Frankfurt am Main im Februar 2012
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 5.12.2013, Az. 9 Sa 592/13

Das Hessische Landesarbeitsgerichts hat heute über die Berufungen von zwei Fluggesellschaften und der FRAPORT AG gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main  entschieden,  durch das ihre Schadensersatzklagen in Höhe von mehr als EUR 9 Millionen abgewiesen worden waren.

Die GdF führte im Februar 2012 einen Arbeitskampf gegen die FRAPORT AG wegen der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von etwa 200 Arbeitnehmern der Vorfeldkontrolle / Vorfeldaufsicht / Verkehrszentrale und rief ihre Mitglieder bei der FRAPORT AG zunächst für einen befristeten Arbeitskampf für den 16. Febr. 2012 auf, der dann bis zum 24. Febr. 2012 verlängert werden sollte, aber am 23. Febr. 2012 wegen der Wiederaufnahme von Tarifverhandlungen abgebrochen, nach ergebnislosen Verhandlungen am 26. Febr. 2012 wieder aufgenommen und am 28. und 29. Febr. 2012 mitsamt einem angekündigten Unterstützungsarbeitskampf bei der Deutsche Flugsicherung GmbH auf Antrag der Klägerinnen vom Arbeitsgericht Frankfurt am Main verboten worden war.  Die Fluggesellschaften und die FRAPORT hielten den Streik wie auch den angekündigten Unterstützungsstreik u.a. wegen einer Verletzung der Friedenspflicht für rechtswidrig und sahen hierin ihre Rechte am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt. Sie machten mit der Klage Mindererlöse infolge Flugausfällen sowie Verspätungskosten und Gebührenausfälle sowie anderweitige Beförderungs-, Hotel und Verpflegungskosten im Zusammenhang mit ausgefallenen oder verspäteten Flügen geltend. Die FRAPORT AG ist von streikbedingt 1.668 ausgefallenen Flügen ausgegangen.

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die Klagen wie schon die Vorinstanz abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung, die Fluggesellschaften seien  sog. Drittbetroffene, die selbst nicht unmittelbar bestreikt wurden und deshalb keine Schadensersatzansprüche gegen die zum Streik aufrufende Gewerkschaft geltend machen können. Die Klage gegen die FRAPORT AG wurde abgewiesen, weil die Streiks  keinen anderen Verlauf genommen hätten und der Schaden kein anderer gewesen wäre, wenn mit dem Streik ausschließlich rechtmäßige  Streikziele  verfolgt worden wären.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat das Hessische Landesarbeitsgericht die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Siehe:
http://www.lag-frankfurt.justiz.hessen.de/irj/LAG_Hessen_Internet?rid=HMdJ_15/LAG_Hessen_Internet/sub/4d5/4d55052d-456d-b241-f012-f312b417c0cf,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm

XI.
Rechtsfolge einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12.2013, Az.9 AZR 51/13

Besitzt ein Arbeitgeber die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderliche Erlaubnis, als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu überlassen, kommt zwischen einem Leiharbeitnehmer und einem Entleiher kein Arbeitsverhältnis zustande, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers entgegen der Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht nur vorübergehend erfolgt. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fingiert das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses ausschließlich bei fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung bewusst nicht die Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher angeordnet. Das Unionsrecht gibt kein anderes Ergebnis vor. Die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) sieht keine bestimmte Sanktion bei einem nicht nur vorübergehenden Einsatz des Leiharbeitnehmers vor. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Leiharbeitsrichtlinie überlässt die Festlegung wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen bei Verstößen gegen Vorschriften des AÜG den Mitgliedstaaten. Angesichts der Vielzahl möglicher Sanktionen obliegt deren Auswahl dem Gesetzgeber und nicht den Gerichten für Arbeitssachen.

Die Beklagte zu 1., deren alleiniger Gesellschafter ein Landkreis ist, betreibt Kranken-häuser. Die Beklagte zu 2., eine 100 %ige Tochter der Beklagten zu 1., hat eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Sie stellte 2008 den Kläger als IT-Sachbearbeiter ein. Dieser wurde als Leiharbeitnehmer ausschließlich in Einrichtungen der Beklagten zu 1. eingesetzt. Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass zwischen ihm und der Beklagten zu 1. ein Arbeitsverhältnis besteht. Er hat gemeint, er sei dieser nicht nur vorübergehend überlassen worden mit der Folge, dass zwischen der Beklagten zu 1. und ihm ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr, soweit für die Revision von Interesse, stattgegeben.

Die Revision der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. ist kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Einer Entscheidung, ob der Kläger der Beklagten zu 1. nicht nur vorübergehend überlassen wurde, bedurfte es nicht, weil die Beklagte zu 2. die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2013&nr=17035&pos=0&anz=73&titel=Rechtsfolge_einer_nicht_nur_vor%FCbergehenden_Arbeitnehmer%FCberlassung

XII.
Mindestaltersgrenze in einer Pensionsordnung für den Anspruch auf Invalidenrente
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12:2013: Az.3 AZR 796/11

Eine Bestimmung in einer Pensionsordnung, nach der ein Anspruch auf eine Invalidenrente bei Berufsunfähigkeit nur besteht, wenn der Arbeitnehmer bei Eintritt des Versorgungsfalls mindestens das 50. Lebensjahr vollendet hat, ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters.

Der im August 1956 geborene Kläger war seit dem 1. Juni 1977 bei der Beklagten beschäftigt. Ihm waren Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der Pensionsordnung der Beklagten zugesagt worden. Diese sieht vor, dass Rentenleistungen gewährt werden, wenn der Betriebsangehörige bei Eintritt des Versorgungsfalls eine Mindestdienstzeit und ein Mindestalter in den Diensten der Firma erreicht hat. Bei Invalidität infolge Berufsunfähigkeit beträgt das Mindestalter für die Rentenzahlung 50 Jahre. Nachdem dem Kläger mit Wirkung ab dem 1. September 2002 eine gesetzliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bewilligt worden war, schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag zum 31. März 2003.

Die auf Zahlung einer Invalidenrente nach der Pensionsordnung der Beklagten gerichtete Klage hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts - wie schon in den Vorinstanzen - keinen Erfolg. Dem Anspruch des Klägers steht die Bestimmung der Pensionsordnung entgegen, wonach das Mindestalter für die Rentenzahlung bei Invalidität infolge Berufsunfähigkeit 50 Jahre beträgt. Dieses Mindestalter hatte der Kläger bei Eintritt des Versorgungsfalls der teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht erreicht.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2013&nr=17061&pos=3&anz=77&titel=Mindestaltersgrenze_in_einer_Pensionsordnung_f%FCr_den_Anspruch_auf_Invalidenrente

XIII.
Tarifgebundenheit durch Anerkennungstarifvertrag - Gleichstellungsabrede
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2013, Sz. 4 AZR 473/12

Nehmen die Parteien in einem vor dem 1. Januar 2002 geschlossenen Arbeitsvertrag ("Altvertrag") einen Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung in Bezug, an den der Arbeitgeber seinerseits normativ gebunden ist, endet mit dem Wegfall der normativen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers regelmäßig die Dynamik. Dies gilt auch, wenn die Tarifgebundenheit an Verbandstarifverträge nicht über eine Mitgliedschaft des Arbeitgebers im tarifschließenden Verband, sondern über einen von ihm als Tarifvertragspartei mit der Gewerkschaft geschlossenen Anerkennungstarifvertrag vermittelt ist.

Der Kläger ist seit dem Jahr 1995 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag ist neben einer Verweisung auf die tariflichen Urlaubs- und Kündigungsfristenregelungen "ein Bruttogehalt nach Tarifgruppe 5/4 in Höhe von DM 5.400,-" vereinbart, das sich aus einem Tarifgehalt von DM 4.848,- und einer außertariflichen Zulage von DM 552,- zusammensetzt. Zu dieser Zeit war die Beklagte, die keinem Arbeitgeberverband angehört, an einen mit der IG Metall geschlossenen Anerkennungstarifvertrag gebunden, der mehrere Verbandstarifverträge der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie in Bezug genommen und vorübergehend teilweise modifiziert hatte. Dieser Anerkennungstarifvertrag wurde von der Beklagten zum 31. Dezember 2001 gekündigt. Nachfolgende Änderungen der Verbandstarifverträge wurden im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mehr umgesetzt. Der Kläger hat mit seiner Klage ua. Vergütungsdifferenzen zwischen dem ihm gezahlten Entgelt und den tariflichen - zwischenzeitlich - erhöhten Tabellenwerten der Tarifgruppe 5/4 geltend gemacht.

Der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat, wie die Vorinstanz, die Klage abgewiesen. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine dynamische Anwendung der jeweiligen Vergütungsregelungen nach dem Mantel-, dem Lohn- und Gehaltsrahmen- sowie dem Vergütungstarifvertrag der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie annehmen würde, wäre diese Dynamik aufgrund des Wegfalls der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nach der Kündigung des Anerkennungstarifvertrages in Anwendung der früheren Rechtsprechung des Vierten Senats zur "Gleichstellungsabrede" entfallen, die aufgrund Vertrauensschutzes für "Altverträge" weiterhin gilt. Ob die Tarifgebundenheit an die im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Tarifregelungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf einer Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Verband oder auf einem von ihm selbst geschlossenen Anerkennungstarifvertrag beruht, ist dabei ohne Bedeutung. Der Senat hat auch keinen Anlass gesehen, seine Vertrauensschutzrechtsprechung hinsichtlich der "Altverträge" zu modifizieren.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2013&nr=17059&pos=1&anz=77&titel=Tarifgebundenheit_durch_Anerkennungstarifvertrag_-_Gleichstellungsabrede

XIV.
Diskriminierung wegen Schwangerschaft - Entschädigung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.12.2013, Az.8 AZR 838/12

Wird unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz einer schwangeren Arbeitnehmerin eine Kündigung erklärt, stellt dies eine Benachteiligung wegen des Geschlechts dar und kann einen Anspruch auf Entschädigung auslösen.

Die Klägerin sieht sich aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert. Im Kleinbetrieb ihrer Arbeitgeberin galt zwar nicht das Kündigungsschutzgesetz, für die schwangere Klägerin bestand jedoch der besondere Kündigungsschutz des § 9 MuSchG. Anfang Juli 2011 wurde aus medizinischen Gründen zudem ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG für die Klägerin ausgesprochen. Dem Ansinnen der Beklagten, dieses Beschäftigungsverbot nicht zu beachten, widersetzte sich die Klägerin. Am 14. Juli 2011 wurde festgestellt, dass ihre Leibesfrucht abgestorben war. Für den damit notwendig gewordenen Eingriff wurde die Klägerin auf den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt. Sie unterrichtete die Beklagte von dieser Entwicklung noch am 14. Juli 2011 und fügte hinzu, dass sie nach der Genesung einem Beschäftigungsverbot nicht mehr unterliegen werde. Die Beklagte sprach umgehend eine fristgemäße Kündigung aus und warf diese noch am 14. Juli in den Briefkasten der Klägerin. Dort entnahm sie die Klägerin nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus am 16. Juli 2011.

Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 3.000,00 Euro zugesprochen hatte, bestätigt. Die Klägerin wurde wegen ihrer Schwangerschaft von der Beklagten ungünstiger behandelt und daher wegen ihres Geschlechtes benachteiligt, § 3 Abs. 1 Satz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Verbindung mit § 1 AGG. Dies ergibt sich schon aus dem Verstoß der Beklagten gegen das Mutterschutzgesetz. Da Mutter und totes Kind noch nicht getrennt waren, bestand noch die Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Auch der Versuch, die Klägerin zum Ignorieren des Beschäftigungsverbotes zu bewegen und der Ausspruch der Kündigung noch vor der künstlich einzuleitenden Fehlgeburt indizieren die ungünstigere Behandlung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft. Der besondere, durch § 3 Abs. 1 AGG betonte Schutz der schwangeren Frau vor Benachteiligungen führt jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden auch zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG. Dies ist unabhängig von der Frage zu sehen, ob und inwieweit Kündigungen auch nach den Bestimmungen des AGG zum Schutz vor Diskriminierungen zu beurteilen sind.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2013&nr=17062&pos=0&anz=77&titel=Diskriminierung_wegen_Schwangerschaft_-_Entsch%E4digung

XV.
Fristlose Kündigung: Streit um Lohnansprüche berechtigt nicht zur Arbeitsverweigerung
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.10.2013, Az. 5 Sa 111/13

Wer sich beharrlich weigert, seine Arbeit auszuführen, weil er denkt, er sei nicht ausreichend vergütet, riskiert eine fristlose Kündigung. Ein Irrtum schützt ihn nicht. Das hat das Landesarbeitsgericht am 17.10.2013 entschieden (5 Sa 111/13).

Der 49-jährige Kläger war bei der Beklagten seit gut einem Jahr als Bodenleger beschäftigt. Für bestimmte Bodenverlegearbeiten war ein Akkordsatz vereinbart, ansonsten ein Stundenlohn von 12,00 Euro. Der Kläger sollte in 40 nahezu identischen Häusern im Akkord Bodenbelag verlegen. Dabei musste er vorbereitend - wie üblich - auch den Belag in die einzelnen Häuser transportieren, den Untergrund reinigen sowie den Belag zu- und Dämmstreifen abschneiden. Nach zwei Tagen Arbeit rechnete er sich seinen Durchschnittsstundenlohn aus und kam auf einen Betrag von 7,86 Euro brutto. Daraufhin forderte er vom Geschäftsführer einen adäquaten Stundenlohn für diese Baustellen oder aber einen anderen Einsatzort. Dieser lehnte beides ab und forderte den Kläger in mehreren Gesprächen eindringlich auf, die zugewiesene Arbeit auszuführen. Zuletzt drohte er ihm die fristlose Kündigung an. Der Kläger hielt an seiner Verweigerungshaltung fest. Das Arbeitsverhältnis wurde daraufhin fristlos gekündigt. Das Arbeitsgericht Elmshorn gab der Kündigungsschutzklage statt. Dem Kläger habe noch die Möglichkeit gegeben werden müssen, seine Position zu überdenken und zu überprüfen. Dem folgte das Landesarbeitsgericht nicht und hob die Entscheidung auf.

Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass der Kläger die Arbeit nicht verweigern durfte, weil zu Bodenverlegearbeiten unstreitig Zusammenhangsarbeiten gehörten. Daran änderte auch eine möglicherweise unzureichende Vergütungsabrede nichts. Es galt die getroffene Vereinbarung. Der Kläger musste daher erst einmal die zugewiesene Arbeit verrichten und durfte sie nicht zurückhalten. Den Vergütungsstreit musste er ggf. später nach Erhalt der Abrechnung führen. Dass sich der Kläger insoweit über ein Zurückbehaltungsrecht geirrt hat, war unbeachtlich. Das Irrtumsrisiko trage der Arbeitnehmer. Wegen der Beharrlichkeit der Weigerung war hier die fristlose Kündigung gerechtfertigt.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen.
Siehe:
http://www.schleswig-holstein.de/LAG/DE/Service/MedienInformationen/PI/prm813.html

Neu eingestellte Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein

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Einstelldatum
Aktenzeichen
Gericht
Schlagworte
Datei
13.12.2013
6 Sa 141/13
LAG Schleswig-Holstein
Abfindung, Sozialplan, Auslegung, Feststellungsklage, Zulässigkeit, Eigenkündigung
U_6Sa141-13_25-09-2013.pdf
(183,3 KB)
13.12.2013
4 TaBV 19/13
LAG Schleswig-Holstein
Beschlussverfahren, Zustimmungsersetzung, Kündigung, außerordentlich, Schwerbehindertenvertretung, Arbeitszeitbetrug, Schulung, Erforderlichkeit, Schulungsbeginn, Montagabend
B_4TaBV19-13_17-10-2013.pdf
(126,6 KB)
29.11.2013
4 Sa 106/13
LAG Schleswig-Holstein
Versetzung, Arbeitsort, Direktionsrecht, Diakonie
U_4Sa106-13_10-10-2013.pdf
(147,0 KB)
29.11.2013
4 Ta 192/13
LAG Schleswig-Holstein
Streitwert, Gegenstandswert, Abmahnung, Bruttogehalt, Monatsgehalt
N_4Ta192-13_06-11-2013.pdf
(122,5 KB)
29.11.2013
4 Sa 188/13
LAG Schleswig-Holstein
Befristeter Arbeitsvertrag, Befristung, Sachgrund, vorübergehender Bedarf, Öffentlicher Dienst, Haushaltsmittel, Daueraufgabe, Projekt, Prognose
U_4Sa188-13_10-10-2013.pdf
(180,2 KB)

Mit freundlichen Grüßen
Ihr

Michael Henn
Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident

VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.
Theodor-Heuss-Str. 11
70174 Stuttgart
Tel.: 0711 – 3058 9320
Fax: 0711 -  3058 9311
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