….und raus bist Du !..... Die betriebsbedingte Kündigung
I. Überblick
Jeder Unternehmer hat die Möglichkeit, auf wirtschaftliche Veränderungen der Rahmenbedingungen (z.B. Auftragsvergrößerung bzw. Auftragsrückgang) neben anderen anerkannten Steuerungsmechanismen der Unternehmensführung durch Einstellung von Mitarbeitern, aber auch durch deren Entlassung zu reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Bestand seines Unternehmens sicher zu stellen.
Während die unternehmerische Entscheidung, dass und aus welchen Gründen die Belegschaft durch Kündigung einzelner Arbeitsverhältnisse verringert wird, als sog. „freie Unternehmerentscheidung“ gerichtlich nur äußerst eingeschränkt überprüfbar ist, stellt das Gesetz an die Entscheidung welchem Arbeitnehmer zulässigerweise konkret gekündigt werden darf, zum Teil strenge Anforderungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Dieses zeigt auf, nach welchen Kriterien die arbeitgeberseitige Auswahlentscheidung zu erfolgen hat und gibt in gewisser Weise den Entscheidungsablauf vor. Macht der Arbeitgeber bei den noch darzustellenden Stufen einen Fehler (und hat er letztlich der falschen Person, also dem Gekündigten anstatt einem anderen Mitarbeiter gekündigt), läuft er Gefahr, dass sich die Kündigung allein aus diesem Grunde als unwirksam erweist und das Arbeitsverhältnis fortbesteht.
Wird einem Arbeitnehmer demnach das Arbeitsverhältnis aus dringenden betrieblichen Gründen gekündigt, hat dieser gem § 4 KSchG i.d.R. allerdings nur drei Wochen Zeit (!!!), Klage zum zuständigen Arbeitsgericht zu erheben, um die Rechtmäßigkeit der betriebsbedingten Kündigung überprüfen zu lassen.
II. Die Gesichtspunkte der Sozialauswahl
Nach § 1 Abs. 3 KSchG erweist sich die aus dringenden betrieblichen Erfordernissen ausgesprochene Kündigung als sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der Arbeitnehmer
die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
das Lebensalter,
die Unterhaltspflichten
und die Schwerbehinderung
des Arbeitnehmers nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt hat.
In die soziale Auswahl nicht einzubeziehen sind Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.
Ob der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl richtig vorgegangen ist, kann an der Einhaltung folgender drei Prüfungsschritte überprüft werden:
Zunächst: Abgrenzungsfragen
a) Von vornherein nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sich Personen, die kraft Gesetzes einen besonderen Kündigungsschutz genießen (z.B. Mitglieder des Betriebsrates oder Schwerbehinderte, solange nicht die Zustimmung des Integrationsamtes/früher Hauptfürsorgestelle für diese Kündigung vorliegt, Schwangere, junge Mütter, Wehr- und Zivildienstleistende), ferner, wenn die ordentliche Kündigung im Arbeitsvertrag oder durch einen Tarifvertrag ausgeschlossen ist.
b) Andererseits genießen Arbeitnehmer, die noch keine 6 Monate im Unternehmen beschäftigt sind, keinen Kündigungsschutz, § 1 Abs.1 KSchG. Ihnen kann ohne weiteres und sogar ohne Angabe von Gründen gekündigt werden.
c) Leitende Angestellte wie Geschäftsführer und Betriebsleiter unterfallen gem. § 14 Abs.2 KSchG grds. der Sozialauswahl, nicht jedoch die Vertreter der juristischen Person usw. nach näherer Maßgabe des § 14 Abs.1 KSchG. Erstere können sich deshalb entgegen verbreiteter Ansicht, soweit durch eine betriebsbedingte Kündigung betroffen, ebenfalls auf die Nichteinhaltung von sozialen Auswahlkriterien berufen.
1. Zutreffende Ermittlung der vergleichbaren Arbeitnehmer
Im ersten Schritt ist zu ermitteln, welche Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. Dies sind zunächst alle und nur solche im Betrieb verbliebenen Arbeitnehmer, die von der Art der Tätigkeit mit dem Gekündigten vergleichbar sind.
Bei der Frage der Vergleichbarkeit der Tätigkeiten sind aber auch solche, die zwar andersartig, aber ansonsten gleichwertig sind und die der zu Kündigende aufgrund seiner bisherigen Aufgaben im Betrieb und seiner bisherigen beruflichen Qualifikation –gegebenenfalls nach einer kurzen Einarbeitungszeit- ausüben könnte, mit einzubeziehen.
Von besonderer Bedeutung ist, dass diese Vergleichbarkeit der Tätigkeiten nicht nur abteilungsbezogen, sondern betriebsbezogen zu sehen ist, d.h. in die soziale Auswahl müssen alle Arbeitnehmer des gesamten Betriebes, die mit dem zu Kündigenden vergleichbar sind, einbezogen werden (!). Würde sich ( in den folgenden Schritten) letztlich herausstellen, dass sich ein derart einzubeziehender Arbeitnehmer als weniger schutzwürdig als der Gekündigte erweist (aber sich der Arbeitgeber keinerlei oder fehlerhafte Gedanken hierzu gemacht hat), wäre die Kündigungsschutzklage allein aus diesem Grunde erfolgreich.
Gehören allerdings zu einem Unternehmen mehrere Betriebe (z.B. Filialen eines Einzelhandelsunternehmens bzw. Filialen einer Bank) bezieht sich die Vergleichbarkeit nur auf den Betrieb des von der Kündigung Betroffenen.
2. Berechtigter Ausschluss einzelnen Arbeitnehmer aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer
a) Der Arbeitgeber darf bestimmte Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, von der obigen Sozialauswahl ausnehmen. Als Gründe zählt das Gesetz beispielhaft auf: Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen..
Die Herausnahme dieser „Leistungsträger“ wird sich nur dann als überprüfungsfest erweisen, wenn deren Merkmale deutlich überdurchschnittlich vorhanden und für den Betrieb von derartiger Wichtigkeit sind, dass der Arbeitgeber auf die weitere Mitarbeit dieser herausgenommenen Arbeitnehmer nicht verzichten kann.
Führt also der Gekündigte im Kündigungsschutzprozess erhebliche Einwände an, die die Beurteilung der Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der von der Sozialauswahl Herausgenommenen fraglich und fehlerhaft erscheinen lassen oder gar den Verdacht nahe legen, dass die Begründung nur vorgeschoben ist, um eine Kündigung zu vermeiden, muss der Arbeitgeber im Zweifelsfall die Gründe für das Behaltendürfen dieser Arbeitnehmer im einzelnen darlegen und auch beweisen.
Gelingt ihm dies nicht, hat der Gekündigte den Kündigungsschutzprozess bereits gewonnen.
Dies musste u.a. ein Arbeitgeber erfahren, der einen 37-jährigen, (der nur 47 Sozialpunkte aufwies) aus der Sozialauswahl als angeblichen Leistungsträger herausgenommen hatte und einem deutlich älteren Mitarbeiter (92 Sozialpunkte) gekündigt hatte.
Das BAG hat die betriebsbedingte Kündigung (u.a.) wegen Nichtbestehens der Leistungsträgereigenschaft des Jüngeren für rechtswidrig erachtet und hierbei die Verpflichtung des Arbeitgebers normiert, das Interesse des aufgrund anderweitiger Abwägung sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Herausnahme des sog. Leistungsträgers abzuwägen. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, desto gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein (BAG, Urt. v. 22.03.2012; 2 AZR 167/11)
b) Die Sozialauswahl kann schließlich durch die Bildung von Altersgruppen beeinflusst werden. Der Arbeitgeber ist zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur berechtigt, Altersgruppen zu bilden. Tut er dies, ist er gehalten, hierzu im Prozess konkret vorzutragen. Insbesondere ist es notwendig, dass diese Gruppenbildung zur Erhaltung der Altersstruktur überhaupt geeignet ist. Daran fehlt es u.a., wenn bei Bestehen mehrerer Abteilungen mehrere gleichartige Altersgruppen gebildet werden, die teilweise nur über einen einzigen AN verfügen. Es sei in diesem Fall nicht erkennbar, weshalb eine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen der Sozialauswahl notwendig sei.(vgl. BAG, Urteil vom 22.03.2012; 2 AZR 167/11)
3. Die richtige Auswahlentscheidung nach sozialen Gesichtspunkten.
a) Gekündigt darf nur demjenigen werden, der sozial weniger schutzwürdig ist als vergleichbare Arbeitnehmer.
Das Gesetz hat der bis dahin ausufernden Einbeziehung und mit viel Phantasie geschaffenen sonstiger sozialer Gesichtspunkte dadurch einen Riegel vorgeschoben, dass es die Auswahlkriterien mit der Reform des Kündigungsschutzgesetzes ab dem 01.01.2004 auf lediglich vier Merkmale begrenzt hat, nämlich:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers
- Lebensalter des Arbeitnehmers
- Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers
- Schwerbehinderung des Arbeitnehmers
Weitere soziale Gesichtspunkte wie z.B. Krankheit, Arbeitsmarktchancen, Vermögenssituation, Verdienst des Ehe- oder Lebenspartners spielen demnach als eigenständige Merkmale grundsätzlich keine Rolle mehr.
b) Nach dem Gesetz sind diese vier Gesichtspunkte „ausreichend“ zu berücksichtigen. Der Wortlaut lässt offen, wie diese vier Gesichtspunkte untereinander zu gewichten sind.
c) Dem Arbeitgeber steht bei der Gewichtung ein gewisser Wertungsspielraum zu. Zur Beseitigung von Unsicherheiten wird häufig ein Punktekatalog angewandt werden, um insbesondere bei einer größeren Zahl von zu Kündigenden bzw. Vergleichbaren den Überblick zu behalten und die Entscheidungsfindung im Einzelfall zu vereinfachen. Vorrangig darauf zu achten ist, ob die Kriterien der Einordnung beachtet worden sind, ebenso, ob rechnerische Richtigkeit gegeben ist. Aber auch in diesem Fall verbietet es sich, die Auswahl des zu Kündigenden nach dem bloßen rechnerischen Ergebnis ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und kritiklos hinzunehmen.
d) In einem Urteil jüngeren Datums (LAG Köln, Urt. vom 18.02.2011; 4 Sa 1122/10) hat das Landesarbeitsgericht Köln nun entschieden, dass Unterhaltspflichten gegenüber zwei Kindern hinter einem höheren Lebensalter zurückstehen müssen. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war durch Zusammenlegen von zwei Abteilungen eines Betriebes eine Führungsposition weggefallen. Betroffen waren zwei etwa gleich lang beschäftigte Mitarbeiter. Der eine war 53 Jahre als, verheiratet und kinderlos. Der andere 35 Jahre alt, verheiratete, Vater zweier Kinder. Der Arbeitgeber hatte dem deutlich Älteren gekündigt. Dessen Kündigungsschutzklage hatte in der Berufungsinstanz Erfolg.
Die LAG-Richter erklärten die Kündigung des älteren Arbeitnehmers für unwirksam. Der Arbeitgeber habe zwar die Auswahlkriterien des § 1 Abs. 3 KSchG in seine Wertung aufgenommen, aber den ihm zur Verfügung gestellten Spielraum dadurch missachtet, dass er die gravierenden Auswirkungen der Kündigung des älteren Arbeitnehmers auf dessen Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht hinreichend beachtet habe. Diese seien mit seinen 53 Jahren denkbar schlecht. Demgegenüber dürfte es sein jüngerer Kollege deutlich leichter haben, mit seinen 35 Jahren, guter Qualifikation und Berufserfahrung als Führungskraft einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden, sodass der Unterhaltsverpflichtung keine ausschlaggebende Rolle zufallen würde.
Die vorgenannte Entscheidung zeigt, dass eine Verteidigung seines Arbeitsplatzes auch unter schwierigen Rahmenbedingungen möglich ist.
c) Sonderfall Betriebsänderung
Arbeitgeber und Betriebsrat können nunmehr im Rahmen eines Interessenausgleichs über eine Betriebsänderung eine Liste mit den Namen derjenigen aufstellen, denen aufgrund der Betriebsänderung betriebsbedingt gekündigt werden soll. Haben sich Arbeitnehmer und Betriebsrat auf eine solche Namensliste verständigt, wird gesetzlich vermutet, dass den aufgeführten Arbeitnehmern aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden musste. Die betroffenen Arbeitnehmer werden es in einem Kündigungsschutzprozess folglich sehr schwer haben, gegen diese Vermutungswirkung erfolgreich vorzugehen.
d) Die Abfindungsoption
Der Arbeitgeber hat bei der betriebsbedingten Kündigung die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer ein gesetzliches Abfindungsangebot zu unterbreiten. Er ist dazu aber nicht verpflichtet.
Der Abfindungsanspruch besteht jedoch nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der betriebsbedingten Kündigung schriftlich darauf hingewiesen hat und der Arbeitnehmer die dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage verstreichen lässt, also keinen Gebrauch davon macht. In diesem Fall beträgt die Höhe der Abfindung ein halbes Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr, § 1 a Abs.2 KSchG.
Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, dieses Angebot anzunehmen. Insbesondere ältere Arbeitnehmer, die eine lange Betriebszugehörigkeit aufweisen, werden sich überlegen, ob sie nicht den deutlich höheren Abfindungsanspruch aus dem Rahmen des § 10 Abs.2 KSchG über eine Kündigungsschutzklage anstreben bzw. ihnen der Erhalt des Arbeitsplatzes bei drohender Langzeitarbeitslosigkeit wesentlich wichtiger ist als ein höchst überschaubares Abfindungsangebot.
III. Fazit: Was tun bei einer betriebsbedingten Kündigung ?
Hat ein Arbeitnehmer eine betriebsbedingte Kündigung von seinem Arbeitgeber erhalten, hat er lediglich drei Wochen ab Zugang Zeit, Kündigungsschutzklage zu erheben. Entscheidet er sich dagegen oder versäumt er diese Frist, gilt die Kündigung als rechtswirksam. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung beendet worden. Dem Arbeitnehmer steht lediglich dann ein gesetzlicher Abfindungsanspruch zu, wenn der Arbeitgeber ein entsprechendes Angebot nach der neuen Gesetzesregelung unterbreitet hat.
Hat der Arbeitnehmer zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kündigung, muss er zwingend innerhalb der drei-Wochen-Frist Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht erheben. Diese Klageerhebung empfiehlt sich insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beibehalten möchte.
Die Unwirksamkeit der Kündigung kann sich daraus ergeben, dass kein ausreichender Grund für eine betriebsbedingte Kündigung vorliegt, dem gekündigten Arbeitnehmer ein anderer freier Arbeitsplatz hätte zugewiesen werden können oder die hier vertiefend behandelte Sozialauswahl fehlerhaft getroffen worden ist. Ebenfalls möglich ist, dass ein Sonderkündigungsschutz nicht beachtet oder der Betriebsrat nicht oder nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist.
IV. Der Versicherungsanwalt Passau rät:
Die Beurteilung, was letztlich zu tun ist, gestaltet sich nicht einfach.
Wegen der Vielzahl möglicher „Pannen“ auf Arbeitgeberseite und daraus folgender Chancen, aber auch der weitreichenden wirtschaftlichen Folgen des Arbeitsplatzverlustes empfiehlt es sich, rechtzeitig (Drei-Wochen-Frist zur Klageerhebung !!!) einen im Arbeitsrecht versierten Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu betrauen.
Nur ein Anwalt mit entsprechendem Fachwissen und praktischer Erfahrung wird zudem in der Lage sein, die Interessen seines Mandanten im Umfeld vielfältigen sonstiger arbeitsrechtlicher „Gefahrenquellen“ wie z.B. einzel- oder tarifvertraglicher Ausschlussfristen, unzutreffender und abträglicher Bewertungen in Zeugnissen etc. effektiv zu vertreten.
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