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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Urlaubsanspruch im langjährig ruhenden Arbeitsverhältnis
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7.08.2012, Az. 9 AZR 353/10
Volltext PE:
Jeder Arbeitnehmer hat nach § 1 BUrlG in jedem Kalenderjahr auch dann Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, wenn er im gesamten Urlaubsjahr arbeitsunfähig krank war. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat und eine tarifliche Regelung bestimmt, dass das Arbeitsverhältnis während des Bezugs dieser Rente auf Zeit ruht. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch steht nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien. Bei langjährig arbeitsunfähigen Arbeitnehmern ist § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG, wonach im Fall der Übertragung der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden muss, unionsrechtskonform so auszulegen, dass der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt. Der EuGH hat in der KHS-Entscheidung vom 22. November 2011 seine Rechtsprechung bezüglich des zeitlich unbegrenzten Ansammelns von Urlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitnehmer geändert und den Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres nicht beanstandet.
Die als schwerbehindert anerkannte Klägerin war vom 1. Juli 2001 bis zum 31. März 2009 in der Rehabilitationsklinik der Beklagten gegen eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von zuletzt 2.737,64 Euro als Angestellte beschäftigt. Im Jahr 2004 erkrankte sie, bezog ab dem 20. Dezember 2004 eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung und nahm bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihre Tätigkeit für die Beklagte nicht mehr auf. Nach dem TVöD, der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fand, ruht das Arbeitsverhältnis während des Bezugs einer Rente auf Zeit und vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen tariflichen Zusatzurlaubs für jeden Kalendermonat des Ruhens um ein Zwölftel. Die Klägerin hatte die Abgeltung von 149 Urlaubstagen aus den Jahren 2005 bis 2009 mit 18.841,05 Euro brutto beansprucht. Die Vorinstanzen haben der Klage bezüglich der Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs und des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen stattgegeben, die Beklagte zur Zahlung von 13.403,70 Euro brutto verurteilt und die Klage hinsichtlich der Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs abgewiesen.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts größtenteils Erfolg. Die Klägerin hat gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG nur Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs und Zusatzurlaubs aus den Jahren 2008 und 2009 mit 3.919,95 Euro brutto. In den Jahren 2005 bis 2007 sind die nicht abdingbaren gesetzlichen Urlaubsansprüche trotz des Ruhens des Arbeitsverhältnisses zwar entstanden. Ihrer Abgeltung steht jedoch entgegen, dass sie vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG mit Ablauf des 31. März des zweiten auf das jeweilige Urlaubsjahr folgenden Jahres verfallen sind.
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16102&pos=0&anz=56&titel=Urlaubsanspruch_im_langj%E4hrig_ruhenden_Arbeitsverh%E4ltnis
II.
Interessenausgleich mit Namensliste in der Insolvenz - Sozialauswahl - Auskunftspflicht - Firma S.
ArbG Stuttgart, Urteil vom 24.7.2012, Az. 16 Ca 2422/12
1. Die Auskunftspflicht über die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG gilt - bei einem entsprechenden Verlangen des Arbeitnehmers - auch in den Fällen eines Interessenausgleichs mit Namensliste in der Insolvenz iSd. § 125 InsO uneingeschränkt.
2. Erfüllt der Insolvenzverwalter die Auskunftspflicht nicht bzw. nicht hinreichend ist die Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen.
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2012&nr=15922&pos=0&anz=24
III.
Wählbarkeit von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes in Privatbetrieben
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15.08.2012, Az. 7 ABR 34/11
Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen mindestens sechs Monate tätig sind, können dort in den Betriebsrat gewählt werden.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind für den Betriebsrat alle Wahlberechtigten wählbar, die sechs Monate dem Betrieb angehören. Wahlberechtigt sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BetrVG alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sind nach dessen § 5 Abs. 1 Satz 1 Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Nach dem mit Wirkung vom 4. August 2009 in das BetrVG eingefügten § 5 Abs. 1 Satz 3 gelten als Arbeitnehmer auch Beamte, Soldaten sowie Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig sind. Sie können daher, obwohl sie in keinem Arbeitsverhältnis zu diesen Unternehmen stehen, nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit in den Betriebsrat gewählt werden. Voraussetzung ist lediglich, dass sie in den Betrieb eingegliedert sind.
Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts erklärte daher, ebenso wie bereits die Vorinstanzen, die Betriebsratswahl im Betrieb eines privaten Unternehmens für unwirksam, in dem neben eigenen Arbeitnehmern auch Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes tätig sind. Das Unternehmen erbringt Dienstleistungen für ein in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts geführtes Universitätsklinikum und beschäftigt aufgrund eines Gestellungsvertrags auch knapp 300 beim Universitätsklinikum angestellte Arbeitnehmer. Der Wahlvorstand hielt diese Arbeitnehmer nicht für den Betriebsrat wählbar und wies einen Wahlvorschlag zurück, auf dem einige dieser Arbeitnehmer kandidierten. Die hierauf gestützte Wahlanfechtung einer in dem Betrieb vertretenen Gewerkschaft war begründet. Die gestellten Arbeitnehmer besaßen im Einsatzbetrieb das passive Wahlrecht.
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16119&pos=0&anz=58&titel=W%E4hlbarkeit_von_Arbeitnehmern_des_%F6ffentlichen_Dienstes_in_Privatbetrieben
IV.
Tarifvertragliche Regelungen über sachgrundlose Befristung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. August 2012 - 7 AZR 184/11
Durch Tarifvertrag können sowohl die Höchstdauer als auch die Anzahl der zulässigen Verlängerungen eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags abweichend von den Vorschriften des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) geregelt werden.
Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer darf nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 TzBfG ein befristeter Vertrag höchstens dreimal verlängert werden. § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG lautet: „Durch Tarifvertrag kann die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1 festgelegt werden.“ Nach § 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Wie die Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG ergibt, erlaubt die Vorschrift den Tarifvertragsparteien nicht nur, entweder Gesamtdauer oder Anzahl der Verlängerungen, sondern beides zugleich auch zuungunsten der Arbeitnehmer abweichend vom Gesetz zu regeln. Allerdings ist diese Befugnis insbesondere aus verfassungs- und unionsrechtlichen Gründen nicht völlig schrankenlos.
Der Kläger war bei der Beklagten - einem Unternehmen des Wach- und Sicherheitsgewerbes – aufgrund eines befristeten, mehrfach verlängerten Arbeitsvertrags vom 3. April 2006 bis zum 2. Oktober 2009 als Transportfahrer beschäftigt. Im ersten Vertrag und in den Verlängerungsverträgen war die Anwendung des Manteltarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Bundesrepublik Deutschland (MRTV) vereinbart. Nach § 2 Nr. 6 Sätze 1 und 2 MRTV sind ohne sachlichen Grund sowohl die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags bis zur Dauer von 42 Monaten als auch bis zu dieser Gesamtdauer die höchstens viermalige Verlängerung zulässig. Der Kläger hält die tarifliche Bestimmung für unwirksam und griff daher die darauf gestützte Befristung seines Arbeitsvertrags zum 2. Oktober 2009 an. Seine Klage hatte - wie schon in den Vorinstanzen - auch beim Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Regelung des MRTV ist wirksam. Sie ist durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG gedeckt. Der Fall verlangte keine Entscheidung, wo die möglichen Grenzen der gesetzlich eröffneten Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien liegen.
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16116&pos=1&anz=58&titel=Tarifvertragliche_Regelungen_%FCber_sachgrundlose_Befristung
V.
Durchführungsanspruch des Betriebsrats; Antragsbefugnis
Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 12.07.2012, Az. 2 TaBV 36/12
1.Der Betriebsrat ist befugt, den Anspruch auf Durchführung einer mit ihm geschlossenen Betriebsvereinbarung auch dann geltend zu machen, wenn er damit zugleich individualrechtliche Ansprüche geltend macht. In einem solchen Fall ist sein Antrag nicht wegen fehlender Antragsbefugnis unzulässig.
2.Zur Auslegung einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur erfolgsabhängigen Vergütung.
http://www.arbg.bayern.de/muenchen/entscheidungen/neue/22432/index.html
VI.
Befristete Erwerbsminderung - Entstehen - Urlaub - Verfall
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.07.2012, Az.10 Sa 368/12
Auch in einem wegen Bezugs einer befristeten Erwerbsminderungsrente ruhenden Arbeitsverhältnis entsteht Jahr für Jahr der gesetzliche Mindesturlaub. Dieser Anspruch verfällt nicht mit dem Ende des Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 BUrlG).
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/eg8/bs/10/page/sammlung.psml;jsessionid=1036431ED20A7DE19E8B5D91BC1E79CB.jp45?doc.hl=1&doc.id=JURE120015085%3Ajuris-r03&documentnumber=2&numberofresults=595&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
VII.
Terminverlegung
Sächsisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 4.07.2012 Az. 4 Ta 155/12 bis 4 Ta 166/12
Die Verlegung eines Termins kann nur unter ganz besonderen Umständen wie die Aussetzung des Verfahrens mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden
http://www.justiz.sachsen.de/lag/download/4Ta155-12-4Ta166-12.pdf
VIII.
Befristete Garantieprovision - Befristung einzelner Arbeitsbedingungen
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 1.06.2012, Az.14 Sa 553/11
Verlängerung der Befristung einer Garantieprovision, die zusätzlich zum Fixgehalt gezahlt wurde und die keiner Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB zu unterziehen war.
Es konnte offenbleiben, ob hier der Maßstab des § 14 Abs. 1 TzBfG analog, der des § 138 BGB oder der frühere Kernbereichstheorie anzuwenden ist. Die zugunsten des Klägers erfolgte Vereinbarung war nach allen denkbaren Maßstäben wirksam.
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/jg2/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE120015056%3Ajuris-r03&documentnumber=14&numberofresults=3872&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
IX.
Ausreichende Bestimmtheit - einstweilige Verfügung - Unterlassungsantrag
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 1.06.2012, Az. 14 SaGa 124/12
Ein Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren, der darauf gerichtet ist, den Beklagten zu verpflichten, den Kläger regelmäßig nicht mehr als 40 Stunden verteilt auf sieben aufeinander folgende Tage zu beschäftigen, ist unzulässig. Er stellt einen Unterlassungsantrag dar, der im Hinblick auf den Begriff "regelmäßig" nicht ausreichend bestimmt ist.
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/jg2/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE120015057%3Ajuris-r03&documentnumber=13&numberofresults=3872&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
X.
Bestimmtheit und Erfüllung eines vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruchs
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 6.06.2012, Az. 12 Ta 321/10
1.Zur Bestimmtheit und zur Auslegung eines Titels auf vorläufige Weiterbeschäftigung
2.Ein im einstweiligen Verfügungsverfahren erwirkter Titel zur vorläufigen Weiterbeschäftigung bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache kann nicht dadurch erfüllt werden, dem Arbeitnehmer Urlaub und Freizeit zu gewähren oder ihn zu einer auf eine langfristige Perspektive angelegte Fortbildungsmaßnahme für einen völlig neues Aufgabengebiet zu entsenden.Aus der engen zeitlichen Begrenzung des Anspruchs folgt, dass das mit ihm verfolgte Ziel nur durch eine Beschäftigung mit produktiven Tätigkeiten erreicht werden kann, die im Rahmen seines Berufsbild liegen (hier Personalsachbearbeiter)
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/jg2/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE120013426%3Ajuris-r00&documentnumber=12&numberofresults=3872&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
XI.
Honoraranspruch eines außerbetrieblichen Beisitzers einer Einigungsstelle
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.06.2012, Az. 16 TaBV 203/11
1.Nach ständiger Rechtsprechung des BAG entspricht die Bestimmung des Beisitzerhonorars in Höhe von 7/10 des Vorsitzendenhonorars regelmäßig billigem Ermessen. Dabei ist der geringere Zeit- und Vorbereitungsaufwand des Beisitzers gegenüber dem Vorsitzenden bereits berücksichtigt.
2.Eine am Abend der Einigungsstellensitzung mit dem Vorsitzenden vereinbarte Erhöhung seines Honorars steht (anteilig) auch dem außerbetrieblichen Beisitzer der Einigungsstelle zu.
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/jg2/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE120015075%3Ajuris-r00&documentnumber=11&numberofresults=3872&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
XII.
Hinzuziehung einer Moderatorin zu einer Klausurtagung des Betriebsrats
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.06.2012, Az.16 TaBV 237/11
1.Nach § 40 Abs. 1 BetrVG kommt eine Verpflichtung des Arbeitgebers nur für erforderliche Kosten des Betriebsrats in Betracht.
2.Es gehört zu den Aufgaben des Betriebsratsvorsitzenden, Sitzungen des Gremiums ohne Hilfe von außen zu leiten.
3.In Ausnahmefällen kann die Zuhilfenahme externer Hilfe nötig und deren Kostentragung dem Arbeitgeber zumutbar sein, etwa wenn die Situation im Gremium festgefahren ist.
Im Anschluss an Hessisches LAG vom 19. Mai 2011 - 9 TaBV 196/10 (juris)
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/jg2/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE120015077%3Ajuris-r01&documentnumber=10&numberofresults=3872&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
XIII.
Bestimmung des Orts für die Durchführung einer Betriebsversammlung
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.06.2012, Az.16 TaBVGa 149/12
1.§ 42 BetrVG enthält keine Regelung dazu, ob der Arbeitgeber oder der Betriebsrat den zur Abhaltung der Betriebsversammlung bestimmten Raum festlegt.
2.Als Eigentümer der Produktionsmittel entscheidet der Arbeitgeber darüber, welche Räume des Betriebs wann, von wem und zu welchem Zweck genutzt werden. Ist der vom Arbeitgeber für die Durchführung der Betriebsversammlung vorgesehene Raum geeignet, kann die Veranstaltung dort durchgeführt werden, selbst wenn der vom Betriebsrat vorgeschlagene Raum noch besser geeignet sein sollte.
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/jg2/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE120015078%3Ajuris-r00&documentnumber=8&numberofresults=3872&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
XIV.
Arbeitnehmereigenschaft - aut-aut-Fall - Rechtsweg - Sofortige Beschwerde
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 27.06.2012, Az.16 Ta 134/12
Hat der Kläger in einem aut-aut-Fall schlüssig zur Arbeitnehmereigenschaft vorgetragen, darf sich die Beklagtenseite nicht auf ein bloßes Bestreiten beschränken, sondern sie hat ihrerseits substantiiert zum Vorliegen eines freien Dienstvertrages vorzutragen.
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/jg2/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE120015058%3Ajuris-r01&documentnumber=5&numberofresults=3872&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
XV.
Abfindung, Sozialplan, rentennahe Jahrgänge, Altersdiskriminierung
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 6.07.2012, Az.10 Sa 866/11
Zur Kürzung von Sozialplanabfindungen für sog. rentennahe Jahrgänge.
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2012/10_Sa_866_11urteil20120706.html
XVI.
equal pay; Ausschlussfristen
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2012, Az.13 Sa 319/12
Macht ein Arbeitnehmer Ansprüche aus "equal pay" geltend, kann der Arbeitgeber das Vorbringen des Arbeitnehmers zu den Arbeitsbedingungen vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers nicht zulässig mit Nichtwissen bestreiten (so schon ArbG Stuttgart 09.03.2011 - 9 Ca 109/11 - juris RN 59).
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2012/13_Sa_319_12urteil20120621.html
XVII.
Rechtsanwaltsgebühren bei Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht erstattungsfähig
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.07.2012, Az. VI ZB 7/12
Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist die Einzeltätigkeit eines beim Bundesgerichtshof nicht zugelassenen Rechtsanwalts grundsätzlich nicht erstattungsfähig, wenn auch ein beim Bundesgerichtshof zugelassener Verfahrensbevollmächtigter bestellt wird.
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=61108&pos=21&anz=641
XVIII.
Zugespitzte Äußerungen während eines Arbeitskampfes im Einzelfall zulässig
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.08.2012, Az. 8 SaGa 14/12
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden, dass im Einzelfall während eines Arbeitskampfes auch zugespitzte Äußerungen zulässig sein können. Die Verfügungsklägerin, ein Unternehmen der Ernährungsindustrie (im Folgenden Arbeitgeberin), wird von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bestreikt. Am 13.07.2009 schloss sie mit der NGG einen Tarifvertrag zur Zukunftssicherung, der Einbußen der Arbeitnehmer u.a. betreffend Urlaubsgeld, Urlaubstage, Jahreszuwendung und Entgelterhöhung vorsah. Gemäß § 3 des Tarifvertrags sollten ab dem 01.01.2012 die Entgelte des Flächentarifvertrags gelten. Während der Laufzeit des Tarifvertrags wechselte die Arbeitgeberin ihre Vollmitgliedschaft im Arbeitgeberverband in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft). Im Rahmen der Tarifauseinandersetzung im Jahre 2012 skandierten die streikenden Arbeitnehmer Sprechchöre in Reimform, in denen es u.a. hieß, dass die Arbeitgeberin sie „betrüge“ bzw. „bescheiße“. Hierbei waren Gewerkschaftssekretäre der NGG anwesend und schritten nicht ein. Teile der Parolen wurden von einem Gewerkschaftssekretär per Megafon gesprochen. Die Arbeitgeberin verlangt von der NGG sowie ihren drei Vorstandsmitgliedern und zwei Gewerkschaftssekretären Unterlassung der näher bezeichneten Äußerungen bzw. die Einwirkung auf die Streikenden, solche Äußerungen zu unterlassen.
Die Anträge hatten wie bereits vor dem Arbeitsgericht keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die beanstandeten Äußerungen aufgrund des Gesamtzusammenhangs nicht als Tatsachenbehauptungen im strafrechtlichen Sinne gewertet. Es handelte sich um zugespitzte Äußerungen, mit denen die Arbeitnehmer zum Ausdruck brachten, dass sie sich angesichts des Wechsels der Arbeitgeberin in eine OT-Mitgliedschaft „betrogen“ gefühlt hätten. So verstanden waren die zugespitzten Äußerungen von der Meinungsfreiheit, die im Arbeitskampf auch der Gewerkschaft zusteht, noch gedeckt. Hinzu kam, dass derjenige Gewerkschaftssekretär, der an den Äußerungen aktiv beteiligt war, sich inzwischen in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befindet. Dass die weiteren Verfügungsbeklagten sich aktiv an den Äußerungen beteiligt hatten, konnte die Arbeitgeberin nicht darlegen.
Gegen das Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/17_08_2012/index.php
XIX.
Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Alters
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2012, Az. 8 AZR 285/11
Enthält eine Stellenausschreibung den Hinweis, dass Mitarbeiter eines bestimmten Alters gesucht werden, so scheitert der Anspruch eines nicht eingestellten älteren Bewerbers auf eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht allein daran, dass der Arbeitgeber keinen anderen neuen Mitarbeiter eingestellt hat.
Die Beklagte hatte im Juni 2009 mittels einer Stellenausschreibung zwei Mitarbeiter im Alter zwischen 25 und 35 Jahren gesucht. Der 1956 geborene Kläger bewarb sich um eine Stelle, wurde aber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Obwohl solche durchgeführt worden waren, stellte die Beklagte keinen anderen Bewerber ein. Der Kläger macht geltend, er sei wegen seines Alters unzulässig benachteiligt worden und verlangt von der Beklagten eine Entschädigung nach dem AGG. Die Vorinstanzen haben seine Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hätte die Entschädigungsklage nicht allein mit der Begründung abweisen dürfen, ein Verstoß der Beklagten gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG scheide allein deshalb aus, weil sie keinen anderen Bewerber eingestellt habe. Der Senat hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dies wird bei seiner Entscheidung über das Bestehen des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ua. zu prüfen haben, ob der Kläger für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet war und ob eine Einstellung wegen seines Alters unterblieben ist.
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16127&pos=0&anz=61&titel=Entsch%E4digung_wegen_einer_Benachteiligung_aufgrund_des_Alters
XX.
Gewerkschaft BIGD ist nicht tariffähig
Arbeitsgericht Duisburg, Urteil vom 22.08.2012, Az. 4 BV 29/12
Das Arbeitsgericht Duisburg hat am 22.8.2012 entschieden, dass die Gewerkschaft Beschäftigtenverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistung (BIGD) nicht tariffähig ist und auch am 1.1.2010 nicht tariffähig war.
Die Gewerkschaft BIGD mit Sitz in Duisburg hat im Jahr 2010 zusammen mit anderen Gewerkschaften, darunter auch der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP), verschiedene Tarifverträge mit Zeitarbeitsunternehmen abgeschlossen. Das BAG hatte am 14.12.2010 (Geschäftsnummer 1 ABR 19/10) und zuletzt am 22.5.2012 (Geschäftsnummer 1 ABN 27/12) entschieden, dass die CGZP nicht tariffähig ist.
Nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts Duisburg fehlt es der BIGD insbesondere an der Tarifmächtigkeit.
http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/23_08_2012/index.php
XXI.
Ehrenamt und Arbeitnehmerstatus
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.08.2012, Az. 10 AZR 499/11
Durch die Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeit wird kein Arbeitsverhältnis begründet. Das hat das Bundesarbeitsgericht heute entschieden.
Der Beklagte des entschiedenen Falles ist Träger einer örtlichen Telefonseelsorge. Zu diesem Zweck unterhält er Räumlichkeiten, in denen ein hauptamtlicher und rund fünfzig ehrenamtliche Mitarbeiter den Seelsorgedienst verrichten. Nach der Dienstordnung für die ehrenamtlichen Kräfte wird deren regelmäßige Beteiligung erwartet. Jeweils im Vormonat legt der Beklagte Dienstpläne für den Folgemonat aus, in die sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter eintragen. Die Klägerin war auf der Grundlage von schriftlichen „Beauftragungen“ seit dem 26. April 2002 als ehrenamtliche Telefonseelsorgerin unentgeltlich im Umfang von zehn Stunden im Monat für den Beklagten tätig. Die Klägerin erhielt lediglich einen Unkostenersatz von 30,00 Euro monatlich. Am 22. Januar 2010 wurde die Klägerin mündlich von ihrem Dienst entbunden.
Die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage blieb vor dem Bundesarbeitsgericht - wie schon in den Vorinstanzen - erfolglos. Zwischen den Parteien bestand kein Arbeitsverhältnis. Die Vereinbarung der Unentgeltlichkeit von Dienstleistungen ist - bis zur Grenze des Missbrauchs - rechtlich zulässig, wenn eine Vergütung, wie bei ehrenamtlicher Tätigkeit, nicht zu erwarten ist. Die Ausübung von Ehrenämtern dient nicht der Sicherung oder Besserung der wirtschaftlichen Existenz. Sie ist Ausdruck einer inneren Haltung gegenüber Belangen des Gemeinwohls und den Sorgen und Nöten anderer Menschen. Im Streitfall besteht kein Anhaltspunkt für die Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften.
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16154&pos=0&anz=62&titel=Ehrenamt_und_Arbeitnehmerstatus
XXII.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Werkstatt für Behinderte ist ein Tendenzbetrieb
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 29.08.2012 - 7 TaBV 4/12
Bei der Arbeitgeberin handelt es sich um eine Werkstatt für Behinderte, die als gemeinnützige GmbH firmiert. Sie beschäftigt ca. 500 bis 600 behinderte Menschen und weitere ca. 100 Arbeitnehmer u.a. als Fachkräfte. Sie streitet mit dem bei ihr eingerichteten Betriebsrat, über die Rechtmäßigkeit der Bildung eines Wirtschaftsausschusses sowie darüber, ob sie ein sog. Tendenzbetrieb ist.
Der Betriebsrat hat durch Beschluss einen Wirtschaftsausschuss gebildet. Die Arbeitgeberin hält dies für rechtswidrig, weil sie ein Tendenzbetrieb sei. Gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BetrVG wird in Betrieben, die unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dienen, ein Wirtschaftsausschuss, der die Aufgabe hat, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten (§ 106 Abs. 1 BetrVG), nicht gebildet. Die Arbeitgeberin begehrt festzustellen, dass sie ein Tendenzbetrieb ist, sowie dass die Bildung des Wirtschaftsausschusses unwirksam ist. Der Betriebsrat ist der Ansicht, der Betrieb der Arbeitgeberin sei nicht mehr überwiegend durch karitative Zwecke bestimmt.
Anders als das Arbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf heute entschieden, dass es sich bei der Arbeitgeberin um einen Tendenzbetrieb handelt, in dem kein Wirtschaftsausschuss zu bilden ist. Bei der Werkstatt für Behinderte ist die Annahme von Lohnaufträgen nur das Mittel, um die Beschäftigung behinderter Menschen, mithin einen karitativen Zweck, zu ermöglichen. Vor der Annahme von Aufträgen wird bei der Arbeitgeberin eine Machbarkeitsstudie erstellt, mit der überprüft wird, ob der Auftrag zur Durchführung mit behinderten Menschen geeignet ist und die den Produktionsprozess in einzelne kleine Abschnitte zergliedert. Soweit in diesem Prozess z.B. besonders gefährliche Arbeiten im Einzelfall von Facharbeitern ausgeführt werden, führt dies nicht dazu, dass die karitative Zwecksetzung wegfällt, denn andernfalls könnten solche Aufträge zum Zwecke der Beschäftigung der behinderten Menschen überhaupt nicht angenommen werden. Auch der Umstand, dass trotz der Machbarkeitsstudie in der Praxis behinderte Mitarbeiter mehr Hilfe als eingeplant bedürfen und dadurch Überstunden anfallen, die von Facharbeitern durchgeführt werden, steht der karitativen Zwecksetzung nicht entgegen.
Das Gericht hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/29_08_2012/index.php
XXIII.
Aussetzung eines Kündigungsschutzverfahrens
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30.07.2012, Az. 2 Ta 265/12
Zum Ermessensrahmen des Arbeitsgerichts bei einer Aussetzungsentscheidung
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2012/2_Ta_265_12beschluss20120730.html
XXIV.
Anhörung, außerordentliche Kündigung, Betriebsrat, Beweismittel, Beweisverwertungsverbot, informationelle Selbstbestimmung, Nachschieben von Kündigungsgründen, Persönlichkeitsrecht, Telekommunikation, Vermögensdelikt
Landesarbeitsgericht Hamm Urteil vom 10.07.2012, Az.14 Sa 1711/10
1.Stützt sich der Arbeitgeber zum Nachweis des Vorwurfs, der Arbeitnehmer habe ein gegen ihn gerichtetes Vermögensdelikt begangen, auf den Inhalt von Chatprotokollen, die auf dem Arbeitsplatzrechner des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung vorgefunden wurden, handelt es sich nicht um ein Nachschieben von Kündigungsgründen, zu dem der Betriebsrat vorher angehört werden muss.
2.Aus einer ggf. gegen § 206 StGB, § 88 TKG. § 32 BDSG und § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG verstoßenden Erlangung der auf einem Arbeitsplatzrechner vorgefundenen abgespeicherten Chatprotokolle folgt kein Beweisverwertungsverbot, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern lediglich eine gelegentliche private Nutzung elektronischer Ressourcen gestattet und zugleich darauf hinweist, dass bei einer Abwicklung persönlicher Angelegenheiten auf elektronischen Geräten und über das Netzwerk der Mitarbeiter keine Vertraulichkeit erwarten und der Arbeitgeber die Nutzung überwachen und bei gegebener Notwendigkeit die Daten einsehen kann, die der Mitarbeiter anlegt oder mit anderen austauscht. Ein Arbeitnehmer muss, wenn er illegale Aktivitäten gegen seinen Arbeitgeber entwickelt, bei einer derart eingeschränkten Vertraulichkeit der Privatnutzung damit rechnen, dass Spuren, die er durch die Nutzung von elektronischen Ressourcen des Arbeitgebers hinterlässt, in einem Prozess gegen ihn verwendet werden.
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2012/14_Sa_1711_10urteil20120710.html
XXV.
Außerdienstliche Aktivitäten für die NPD und JN als Kündigungsgrund
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6.09.2012, Az. 2 AZR 372/11
Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes müssen ein bestimmtes Maß an Verfassungstreue aufbringen. Welchen Anforderungen sie insoweit unterliegen, richtet sich nach ihrer vertraglich geschuldeten Tätigkeit und der Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers. Mitgliedschaft in und Aktivitäten für die NPD oder ihre Jugendorganisation (JN) stehen regelmäßig nicht schon als solche einer Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst entgegen, selbst wenn man die Verfassungsfeindlichkeit der Organisationen - nicht ihre nur vom Bundesverfassungsgericht festzustellende Verfassungswidrigkeit - unterstellt. Allerdings dürfen auch Beschäftigte, die keiner „gesteigerten“, beamtenähnlichen Loyalitätspflicht unterliegen, nicht darauf ausgehen, den Staat oder die Verfassung und deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen. Entfaltet ein Arbeitnehmer - und sei es nur außerdienstlich - Aktivitäten dieser Art, kann dies ein Grund für eine Kündigung durch seinen Arbeitgeber auch dann sein, wenn das Verhalten nicht strafbar ist.
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt, die die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für wirksam erachtet haben. Der Kläger ist Mitglied der NPD und war seit dem Jahr 2003 in der Finanzverwaltung des beklagten Landes tätig. Er war in einem Versandzentrum für die Planung, Steuerung und Überwachung von Druckaufträgen zuständig. Im Rahmen seiner Tätigkeit hatte er Zugriff auf personenbezogene, dem Steuergeheimnis unterliegende Daten der Steuerpflichtigen. In seiner Freizeit verbreitete er mittels elektronischer „Newsletter“ Informationen zu Treffen und Veranstaltungen eines NPD-Kreisverbands und der JN sowie Rundbriefe verschiedener Art. Im Jahr 2009 verschickte er einen Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration in Halle/Saale. Unter der Überschrift „17. Juni - Ein Volk steht auf und kämpft sich frei - Zeit einen neuen Aufstand zu wagen!“ heißt es darin, auch die „BRD“ könnte „Angst davor haben“, das Volk könne sich eines Tages erneut „gegen den Alles über Alles raffenden und volksverratenden Staat erheben“. Falls „die bürgerliche Revolution“ erfolgreich wäre, könne es „gut möglich“ erscheinen, dass „diesmal … Tode nicht bei den Demonstranten, sondern bei den etablierten Meinungsdiktatoren zu verzeichnen (wären). - Dem Volk wär´s recht“. Die Passage endet mit der Aussage: „Hoffen wir mal, die nächste Revolution verläuft erfolgreicher. In diesem Sinne: Volk steh auf, kämpf dich frei!“
Nach dem Gesamtkontext der Äußerungen treten die Verfasser des Demonstrationsaufrufs für einen gewaltsamen Umsturz ein. Eine andere Deutung erscheint nicht möglich. Der Kläger hat sich den Inhalt des Aufrufs zumindest dadurch zu eigen gemacht, das er ihn weiterverbreitete. Sein Vorgehen macht deutlich, dass er das auch ihm abzuverlangende Mindestmaß an Verfassungstreue nicht aufbringt. Die Kündigung ist jedenfalls aus Gründen in seiner Person gerechtfertigt. Grundrechtlich geschützte Rechtspositionen etwa aus Art. 5 GG und Art. 12 GG stehen dem nicht entgegen.
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16172&pos=0&anz=64&titel=Au%DFerdienstliche_Aktivit%E4ten_f%FCr_die_NPD_und_JN_als_K%FCndigungsgrund
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Michael Henn
Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident
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