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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Kündigung wegen Entwendung von Zigarettenpackungen - Verdeckte Videoüberwachung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.06.2012, Az. 2 AZR 153/11
Entwendet eine Verkäuferin Zigarettenpackungen aus dem Warenbestand des Arbeitgebers, kann dies auch nach längerer - im Streitfall zehnjähriger - Betriebszugehörigkeit eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Führte eine verdeckte Videoüberwachung zur Überführung der Täterin, kann das auf diese Weise gewonnene Beweismaterial im Bestreitensfall prozessual allerdings nicht ohne Weiteres verwertet werden. Das entsprechende Interesse des Arbeitgebers hat gegenüber dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Arbeitnehmerin nur dann höheres Gewicht, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist. Dies ist bei verdeckter Videoüberwachung nur dann der Fall, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestand, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war. Unter diesen strengen Voraussetzungen wiederum stehen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) der verdeckten Videoüberwachung auch an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen nicht entgegen. Zwar bestimmt § 6b Abs. 2 BDSG, dass bei Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle erkennbar zu machen sind. Bei einem Verstoß gegen diese Pflicht wird aber nicht jedwede Videoüberwachungsmaßnahme an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen per se unzulässig.
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben, soweit diese die Kündigungsschutzklage einer Verkäuferin abgewiesen hat. Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen. Die Klägerin war bei ihr zuletzt als stellvertretende Filialleiterin beschäftigt. Für drei Wochen im Dezember 2008 installierte die Beklagte mit Zustimmung des Betriebsrats verdeckte Videokameras in den Verkaufsräumen. Sie hat geltend gemacht, es habe der Verdacht bestanden, dass auch Mitarbeiterdiebstähle zu hohen Inventurdifferenzen beigetragen hätten. Auf dem Mitschnitt sei zu sehen, wie die Klägerin bei zwei Gelegenheiten jeweils zumindest eine Zigarettenpackung aus dem Warenbestand entwendet habe. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Die Klägerin hat bestritten, Zigaretten entwendet zu haben. Nach Einnahme des Augenscheins in die Videoaufzeichnungen hat das Landesarbeitsgericht den Kündigungsvorwurf als erwiesen erachtet und die Klage gegen die ordentliche Kündigung abgewiesen.
Der Senat hat die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Zwar ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden, die - allein noch im Streit stehende - ordentliche Kündigung sei nach dem zugrunde gelegten Sachverhalt sozial gerechtfertigt. Es steht aber noch nicht fest, ob die Voraussetzungen für eine prozessuale Verwertung der Videoaufzeichnungen gegeben sind.
II.
Erteilung einer Falschauskunft als Indiz für Diskriminierung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.06.2012, Az. 8 AZR 364/11
Begründet ein Arbeitgeber seine Maßnahme gegenüber dem Arbeitnehmer, so muss diese Auskunft zutreffen. Ist sie dagegen nachweislich falsch oder steht sie im Widerspruch zum Verhalten des Arbeitgebers, so kann dies ein Indiz für eine Diskriminierung bedeuten.
Die türkischstämmige Klägerin wurde von der Beklagten, einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, zunächst befristet für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Dezember 2008 als Sachbearbeiterin eingestellt. Im Oktober 2008 fand ein Personalgespräch statt, in dem es auch um Arbeitsfehler der Klägerin ging. Im November 2008 wurde die Verlängerung der befristeten Beschäftigung für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Januar 2010 vereinbart. Im September 2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Verlängerung oder Entfristung des Arbeitsverhältnisses ab dem 1. Februar 2010 nicht erfolgen werde. Die Klägerin machte, auch mit Hinweis auf den geringen Anteil von Beschäftigten nichtdeutscher Herkunft, eine Diskriminierung wegen ihrer ethnischen Herkunft geltend. Dies verneinte die Beklagte, weitere Begründungen lehnte sie ab. Am 31. Januar 2010 erstellte die Beklagte ein Arbeitszeugnis mit der Leistungsbeurteilung „zu unserer vollsten Zufriedenheit“. Gegen die von der Klägerin angestrengte Klage auf Entschädigung wegen ethnischer Diskriminierung verteidigte sich die Beklagte mit dem Argument, die Entfristung sei wegen der nicht genügenden Arbeitsleistung der Klägerin abgelehnt worden.
Anders als das Arbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung iHv. 2.500,00 Euro und von Schadensersatz verurteilt. Die Revision der Beklagten und die hilfsweise eingelegte Anschlussrevision der Klägerin hatten vor dem Achten Senat Erfolg. Eine Verurteilung der Beklagten kann nicht auf die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung gestützt werden. Das Landesarbeitsgericht wird aber aufzuklären haben, ob die von der Beklagten erteilten Auskünfte über die Gründe der Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses Indizwirkung für eine Diskriminierung der Klägerin haben, weil diese Auskünfte möglicherweise falsch waren oder im Widerspruch zu dem sonstigen Verhalten der Beklagten standen. Das Landesarbeitsgericht wird dabei zu prüfen haben, ob das erteilte Zeugnis falsch war oder die Begründung, eine Entfristung sei wegen der Leistungsmängel der Klägerin nicht möglich gewesen. Auch wird dem Vortrag der Klägerin nachzugehen sein, zuvor sei eine andere, ebenfalls nicht zutreffende Auskunft erteilt worden. Die Klägerin soll zunächst auf einen Wegfall ihres Arbeitsplatzes wegen einer bevorstehenden Fusion hingewiesen worden sein.
III.
Frist zur Geltendmachung von Schadensansprüchen wegen Diskriminierung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.06.2012, Az. 8 AZR 188/11
Will ein Arbeitnehmer geltend machen, er sei wegen eines durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbotenen Merkmals nachteilig behandelt worden, so muss er für alle Ansprüche auf Schadensersatz die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG beachten. Wird eine Bewerbung abgelehnt, so beginnt die Frist in dem Moment, in dem der Bewerber von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
Die Beklagte suchte im November 2007 mit einer Stellenanzeige für ihr „junges Team in der City motivierte Mitarbeiter/innen“ im Alter von 18 bis 35 Jahren. Die damals 41jährige Klägerin bewarb sich unter Beifügung eines vollständigen tabellarischen Lebenslaufs. Am 19. November 2007 erhielt sie eine telefonische Absage. Die Klägerin erhob am 29. Januar 2008 beim Arbeitsgericht Hamburg Klage, mit der sie eine Entschädigung sowie Ersatz der Bewerbungs- und Prozesskosten verlangt.
Wie in den Vorinstanzen blieb die Klage auch vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hatte im Fall der Klägerin bereits den Europäischen Gerichtshof um Entscheidung der Frage gebeten, ob die Frist des § 15 Abs. 4 AGG mit europäischem Recht vereinbar ist. Nach der Entscheidung des Gerichtshofs in Luxemburg hatte das Landesarbeitsgericht nach dessen Vorgaben die Bestimmung für wirksam gehalten. Dies hat der Senat nunmehr in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung bestätigt und klargestellt, dass auch Schadensersatzansprüche auf anderer Rechtsgrundlage binnen der Frist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht werden müssen, wenn sie sich auf einen Sachverhalt beziehen, bei dem eine Diskriminierung wegen der durch das AGG verbotenen Merkmale gerügt wird. Nachdem die Klägerin am 19. November 2007 mit der Ablehnung von der Benachteiligung Kenntnis erlangt hatte, wahrte ihre am 29. Januar 2008 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage nicht die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG.
IV.
Herausgabe erhaltener Schmiergelder
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 08.05.2012, Az. 6 Sa 957/11
1.Ein Arbeitnehmer hat empfangene Schmiergelder nach §§ 667, 681, 687 Abs. 2 BGB an den Arbeitgeber/Auftraggeber herauszugeben. Mit der Annahme von Schmiergeld führt der Arbeitnehmer ein fremdes Geschäft als eigenes. Die gegen diesen Herausgabeanspruch gerichteten Einwände, die im Ergebnis allein einen Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers/Auftraggebers bei Schmiergeldannahme zulassen wollen, greifen nicht durch.
2.Von den Personen, welche an einen Arbeitnehmer Schmiergeld entrichten, kann der Arbeitgeber/Auftraggeber Schadenersatz verlangen. Dies setzt voraus, dass deswegen bei ihm ein Schaden eingetreten ist. Regelmäßig wird dies nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises in Höhe des bezahlten Schmiergeldes anzunehmen sein. Dies gilt aber dann nicht, wenn der Schmiergeldbetrag relativ gering ist und maximal 5 % des Gesamtauftragssumme ausmacht; dann ist nicht auszuschließen, dass Schmiergeldzahler diesen Betrag von ihrem Gewinn abgezweigt haben.
V.
Personenbedingte Kündigung, Alkoholerkrankung, erhebliche betriebliche Beeinträchtigung, Arbeitsaufgabe und -umfeld
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 10.05.2012, Az. 3 Sa 1134/11
Erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen liegen bei einer fristgemäßen personenbedingten Kündigung eines alkoholerkrankten Arbeitnehmers vor, wenn dieser eine Arbeitsaufgabe in einem Arbeitsumfeld verrichtet, die mit Selbst- und Fremdgefährdungen von Personen und Sachen einhergeht.
VI.
Equal-pay - Beginn einer vereinbarten Ausschlussfrist - Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und tariflicher Ausschlussfrist - CGZP - Formulararbeitsvertrag, dynamische Verweisungsklausel
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 02.05.2012, Az. 2 Sa 516/11
1.Eine arbeitsvertragliche Klausel, nach der ein bestimmter Tarifvertrag in der jeweils gültigen Fassung zur Anwendung kommen soll, ist ohne gegenteilige Anhaltspunkte dahin auszulegen, dass die im Arbeitsvertrag selbst enthaltenen Regelungen vorgehen, wenn nicht die tariflichen Regelungen günstiger sind. Dies gilt auch, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag selbst unwirksam ist.
2.Die Auslegung des Formulararbeitsvertrags geht der Transparenz- und der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB vor.
3.Sieht der in Bezug genommene Tarifvertrag eine zweimonatige Ausschlussfrist vor, ist im Arbeitsvertrag jedoch eine auch im Übrigen wirksame dreimonatige Ausschlussfrist vereinbart, so führt dies nicht zur Unanwendbarkeit beider Ausschlussfristen wegen Intransparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern zur Anwendung der dreimonatigen Ausschlussfrist; diese ist für den Arbeitnehmer jedenfalls nicht ungünstiger.
4.Die Fälligkeit von Equal-pay Ansprüchen im Sinne einer „ab Fälligkeit“ laufenden Ausschlussfrist hängt nicht von der rechtskräftigen Feststellung der Tarifunfähigkeit einer der tarifschließenden Parteien ab.
Rechtsmittel ist zugelassen.
VII.
Beiordnung eines Rechtsanwalts bei einer offensichtlich unwirksamen Kündigung
Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 15.05.2012, Az. 5 Ta 161/12
1.Die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO ist egelmäßig nicht erforderlich, wenn der Kläger abgerechnete oder einfach zu berechnende Vergütungsansprüche klageweise geltend macht.
2.Die hierfür maßgeblichen Erwägungen sind auf Kündigungsschutzklagen nicht übertragbar. Diese sind regelmäßig nicht als einfach liegende Rechtsstreitigkeiten einzustufen. Regelmäßig ist daher eine Beiordnung auch schon für den Gütetermin erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn eine Kündigung offensichtlich unwirksam ist.
VIII.
Erweiterter Schonbetrag bei Umzug des Arbeitnehmers
Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 08.06.2012, Az. 5 Ta 103/12
1.)Für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindungen zählen zum Vermögen i. S. v. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Von dem enthaltenen Abfindungsbetrag ist ein Schonbetrag abzuziehen, der nach der heranzuziehenden Verordnung zur Durchführung des § 9 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII derzeit 2.600 Euro beträgt.
2.)Sind dem Arbeitnehmer Aufwendungen entstanden, die über diejenigen hinausgehen, die regelmäßig durch den Verlust des Arbeitsplatzes bedingt sind, kann die Annahme eines weiteren Schonbetrages angezeigt sein. Aus Gründen der Praktikabilität erweist sich eine Typisierung als erforderlich. Auch insoweit ist auf die Durchführungsverordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB IX abzustellen.
3.)Bei einem beruflich bedingten Umzug von NRW nach Bayern ist ein weiterer Schonbetrag i. H. v. 2.600 Euro anzusetzen.
IX.
Zwangsvollstreckung - Erteilung von Lohnabrechnungen
Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 18.05.2012, Az. 12 Ta 47/12
1.Die Ermächtigung zur Ersatzvornahme verpflichtet den Schuldner zur Duldung der in diesem Zusammenhang vom Gläubiger zu treffenden Maßnahmen. Im Falle der Vollstreckung einer Pflicht zur Erteilung einer Lohnabrechnung kann sich daraus die Pflicht des Schuldners zur Überlassung von Unterlagen und Arbeitsmöglichkeiten und die Gewährung des Zutritts zu seinen Wohn- und Geschäftsräumen ergeben.
2.Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Herausgabe von Unterlagen besteht nicht.
3.Eine vorbeugende Durchsuchungsanordnung ist vom Vollstreckungsgericht grundsätzlich nicht zu erlassen; sie ist ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, wenn der Schuldner die Durchsuchung bereits verweigert hat oder konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Schuldner seine Einwilligung zur Durchsuchung verweigern wird.
X.
Abgrenzung Arbeitnehmer/Selbständiger
Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 14.05.2012, Az. 2 Ta 668/11
Objektive Kriterien der Vertragsdurchführung entscheidend. Wille der Parteien, den Dienstnehmer das alleinige wirtschaftliche Risiko zu tragen, unbeachtlich
XI.
Werbungskosten durch Aufwendungen für arbeitsgerichtlichen Vergleich
Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.02.2012, Az. VI R 23/10
Es spricht regelmäßig eine Vermutung dafür, dass Aufwendungen für aus dem Arbeitsverhältnis folgende zivil- und arbeitsgerichtliche Streitigkeiten einen den Werbungskostenabzug rechtfertigenden hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zu den Lohneinkünften aufweisen. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über solche streitigen Ansprüche im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs einigen.
XII.
Bundesgerichtshof wendet erstmals Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz auf GmbH-Geschäftsführer an
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.04.2012, Az. II ZR 163/10
a)Auf den Geschäftsführer einer GmbH, dessen Bestellung und Anstellung infolge einer Befristung abläuft und der sich erneut um das Amt des Geschäftsführers bewirbt, sind gemäß § 6 Abs. 3 AGG die Vorschriften des Abschnitts 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und § 22 AGG entsprechend anwendbar.
b)Entscheidet ein Gremium über die Bestellung und Anstellung eines Bewerbers als Geschäftsführer, reicht es für die Vermutungswirkung des § 22 AGG aus, dass der Vorsitzende des Gremiums die Gründe, aus denen die Entscheidung getroffen worden ist, unwidersprochen öffentlich wiedergibt und sich daraus Indizien ergeben, die eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG vermuten lassen.
c)Macht der Kläger einen Anspruch auf Ersatz seines Erwerbsschadens nach § 15 Abs. 1 AGG geltend, obliegt ihm grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Benachteiligung für die Ablehnung seiner Bewerbung ursächlich geworden ist. Ihm kommt aber eine Beweiserleichterung zugute, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für eine Einstellung bei regelgerechtem Vorgehen besteht.
XIII.
Beurteilungsspielraum des Betriebsrats - Grundschulung durch Gewerkschaft - Schulungsveranstaltung für Betriebsratsmitglied
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.05.2012, Az. 16 TaBV 226/11
Bei der Auswahl geeigneter Schulungsveranstaltungen hat der Betriebsrat einen Beurteilungsspielraum. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, wenn für ein neu in den Betriebsrat gewähltes Mitglied eine Grundschulung ausgewählt wird, die den Unterrichtsstoff in zwei aufeinander aufbauende Unterrichtseinheiten aufteilt. Der Wunsch des Betriebsrats, neue Betriebsratsmitglieder von der Gewerkschaft schulen zu lassen, hält sich auch dann innerhalb seines Beurteilungsspielraums, wenn hierfür im Vergleich zu einem privaten Anbieter geringfügig höhere Kosten anfallen. Der Betriebsrat ist nicht verpflichtet, eine Marktanalyse anzustellen und den günstigsten Anbieter auszuwählen.
XIV.
Die vorläufige Weiterbeschäftigung
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 06.06.2012, Az. 12 Ta 321/10
1.Zur Bestimmtheit und zur Auslegung eines Titels auf vorläufige Weiterbeschäftigung
2.Ein im einstweiligen Verfügungsverfahren erwirkter Titel zur vorläufigen Weiterbeschäftigung bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache kann nicht dadurch erfüllt werden, dem Arbeitnehmer Urlaub und Freizeit zu gewähren oder ihn zu einer auf eine langfristige Perspektive angelegte Fortbildungsmaßnahme für einen völlig neues Aufgabengebiet zu entsenden.
Aus der engen zeitlichen Begrenzung des Anspruchs folgt, dass das mit ihm verfolgte Ziel nur durch eine Beschäftigung mit produktiven Tätigkeiten erreicht werden kann, die im Rahmen seines Berufsbild liegen (hier Personalsachbearbeiter)
XV.
Ordentliche Kündigung einer Gemeindereferentin nach Entzug der bischöflichen Beauftragung wirksam
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 18.07.2012, Az. 10 Sa 890/12
Die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts hat heute den Rechtsstreit 10 Sa 890/12 entschieden. Zugrunde liegt folgender Sachverhalt:
Die Klägerin ist seit dem 01.02.2000 als Gemeindereferentin bei dem Beklagten Erzbistum tätig und ihr wurde die bischöfliche Beauftragung verliehen. In den Jahren 2008/2009 stritten die Parteien über das Bestehen einer Residenzpflicht der Klägerin. Das Verfahren ging für die Klägerin erfolglos aus. Die von der Klägerin im Rahmen des geführten Rechtsstreits getätigten Äußerungen insbesondere im Rahmen der von ihr herbeigeführten Medienberichterstattung nahm das Bistum zum Anlass, der Klägerin mit Dekret vom 16.03.2010 die kanonische Beauftragung als Gemeindereferentin zu entziehen. Die Beschwerde der Klägerin hiergegen wurde vom apostolischen Stuhl mit Dekret vom 16.10.2010 zurückgewiesen. Bereits im Juli 2010 teilte das beklagte Erzbistum der Klägerin mit, dass sie fortan nicht mehr als Gemeindereferentin eingesetzt werde und bot der Klägerin andere Tätigkeiten an. Diese Tätigkeiten lehnte die Klägerin ab und stellte die Arbeitsleistung ein. Mit Schreiben vom 02.12.2010 und 22.12.2010 sprach das Erzbistum der Klägerin außerordentliche Änderungskündigungen aus und bot ihr zugleich die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen als Sekretärin an. Später wurde auch eine hilfsweise ordentliche Änderungskündigung mit dem gleichen Ziel ausgesprochen. Diese Kündigungen greift die Klägerin im vorliegenden Verfahren an, nachdem sie die Änderungsangebote abgelehnt hatte.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien teils aus formalen Gründen, aber auch deswegen unwirksam, weil das Erzbistum sich nicht auf den Entzug der kanonischen Beauftragung berufen dürfe. Zum einen benötige eine Gemeindereferentin diese Beauftragung nicht, zum anderen könne sich das beklagte Erzbistum nicht durch einen innerkirchlichen Akt einen Kündigungsgrund selbst schaffen. Im Übrigen sei das Änderungsangebot unwirksam, da es unnötig weit in die Rechte der Klägerin eingreife, denn die Stellung als Sekretärin in Vollzeit bedeute eine Halbierung ihrer Einkünfte.
Mit Urteil vom 23.11.2011 (2 Ca 561/11) hat das Arbeitsgericht Paderborn der Klage nur teilweise statt gegeben. Es hat die außerordentlichen Kündigungen für unverhältnismäßig und damit für unwirksam, die fristgerechte Kündigung zum 30.06.2011 jedoch für wirksam gehalten.
Die gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung gerichtete Klage blieb heute ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Kündigung des Erzbistums ist durch in der Person der Klägerin liegende Gründe gerechtfertigt. Durch den Entzug der bischöflichen Beauftragung fehlt der Klägerin eine persönliche Eigenschaft, die für die Ausübung ihrer Tätigkeit als Gemeindereferentin unverzichtbar ist. Als innerkirchlicher Akt kann der Entzug der Beauftragung durch den Bischof ebenso wenig von den staatlichen Gerichten überprüft werden wie die Auslegung des kanonischen Rechts (codex juris canonici). Daher ist die Auslegung des Erzbistums, dass auch Gemeindereferenten der besonderen Beauftragung durch den Bischof bedürfen, vom Landesarbeitsgericht nicht zu überprüfen.
Die 10. Kammer hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
XVI.
„Kettenbefristung“ und Rechtsmissbrauch
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.07.2012, Az. 7 AZR 443/09
Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein. Für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs können insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nennt beispielhaft derartige Sachgründe. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG liegt ein sachlicher Grund vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Dem Sachgrund der Vertretung steht nach der Rechtsprechung des Siebten Senats auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge nicht entgegen. Entscheidend ist allein, ob bei der letzten Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorlag. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertretungsbedarf schließt den Sachgrund der Vertretung nicht aus. Der Siebte Senat hatte allerdings Bedenken, ob er aus Gründen des Unionsrechts gehindert ist, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Er bat deshalb mit Beschluss vom 17. November 2010 - 7 AZR 443/09 (A) - den EuGH um Beantwortung der Frage, ob es mit § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Rahmenvereinbarung) vereinbar ist, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der ebenso durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte. Der EuGH antwortete mit Urteil vom 26. Januar 2012 - C-586/10 - [Kücük], der Umstand, dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, stehe weder der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der Rahmenvereinbarung entgegen, noch folge daraus das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung. Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben können, den § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verhindern soll. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.
Hiervon ausgehend entschied der Siebte Senat, dass das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegensteht, sondern an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden kann. Allerdings kann unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. Das entspricht den sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebenden Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch sind hohe Anforderungen zu stellen. Es sind dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.
Der Siebte Senat hob daher ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln auf, das die Befristungskontrollklage einer beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigten Justizangestellten abgewiesen hatte. Die Klägerin war beim beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit ihrer Klage griff die Klägerin die Befristung des letzten im Dezember 2006 geschlossenen Vertrags an. Für diese Befristung lag zwar der Sachgrund der Vertretung vor. Die Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen sprechen aber dafür, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt hat. Der Siebte Senat konnte der Klage dennoch nicht stattgeben. Der Rechtsstreit war vielmehr an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, um dem beklagten Land Gelegenheit zu geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 15. Mai 2009 - 4 Sa 877/08 -
Dagegen wies der Siebte Senat - wie schon die Vorinstanzen - die Befristungskontrollklage einer anderen Klägerin ab. Diese war vom 1. März 2002 bis zum 30. November 2009 aufgrund von vier jeweils befristeten Arbeitsverträgen bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Die letzte im Januar 2008 vereinbarte Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers. Die Befristung war nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt. Angesichts der Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen gab es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 - 7 AZR 783/10 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. August 2010 - 5 Sa 196/10 -
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Michael Henn
Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident
VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.
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