Bundesverfassungsgericht legt Messlatte für Verurteilungen wegen Untreue höher
(Worms) Das Bundesverfassungsgericht hat in einem am 11. August 2010 veröffentlichten Beschluss die Messlatte für Verurteilungen wegen Untreue angehoben. Mit ihren Verfassungsbeschwerden hatten Manager teilweise Erfolg, die in verschiedenen Verfahren deswegen verurteilt worden waren.
Darauf verweist der Münchner Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Daniel Amelung, Vizepräsident des VdSRA - Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Worms, unter Hinweis auf den am 11. August 2010 veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. Juni 2010 - 2 BvR
2559/08, 2 BvR
105/09 und 2 BvR 491/09.
Das Bundesverfassungsgericht hat in drei miteinander verbundenen Verfahren über die Anwendung und Auslegung des Tatbestandes der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG entschieden; die im juristischen Schrifttum zum Teil bezweifelte Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Tatbestandes hat das Bundesverfassungsgericht hierbei bejaht.
§ 266 Abs. 1 StGB in der heute gültigen Fassung lautet:
Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Den Versuch der Untreue hat der Gesetzgeber nicht unter Strafe gestellt.
Die Beschwerdeführer in den vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts entschiedenen Verfahren sind wegen Untreue zu Bewährungsstrafen verurteilt worden; der Bundesgerichtshof hat ihre Verurteilungen zumindest im Schuldspruch bestätigt.
Der Beschwerdeführer im ersten Verfahren verwaltete nach den strafgerichtlichen Feststellungen als Bereichsvorstand der Fa. Siemens AG Gelder auf „schwarzen Kassen", entzog diese so dem Zugriff der zuständigen Unternehmensorgane und verwendete sie später zu Bestechungszwecken.
Der Beschwerdeführer im zweiten Verfahren war Vorstand einer Betriebskrankenkasse und schädigte deren Vermögen dadurch, dass er Angestellten der Krankenkasse in Überschreitung des ihm zustehenden Entscheidungsspielraums über mehrere Jahre hinweg zusätzlich zu deren Gehalt und der Vergütung geleisteter Überstunden Prämien in erheblicher Höhe bewilligte.
Die Beschwerdeführer im dritten Verfahren waren Vorstandsmitglieder der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG; ihnen lag zur Last, unter Verletzung ihrer der Bank gegenüber bestehenden Informations- und Prüfungspflichten einen unzureichend gesicherten Kredit für die Anschaffung und Modernisierung von Plattenbauwohnungen über knapp 20 Mio. DM bewilligt und ausgezahlt zu haben.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die gegen die Verurteilungen gerichteten Verfassungsbeschwerden in den beiden erstgenannten Verfahren zurückgewiesen, im dritten Fall jedoch den Beschluss des Bundesgerichtshofs und das Urteil des Landgerichts Berlin wegen Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer aus Art. 103 Abs. 2 GG aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Verfassungsrechtliche Bedenken, die die Weite eines Straftatbestandes bei isolierter Betrachtung auslösen müsste, können durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung entkräftet werden. Die Rechtsprechung ist daher gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). Aufgrund des in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden strengen Gesetzesvorbehalts ist die Kontrolldichte des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Rechtsanwendung durch die Fachgerichte im Bereich des materiellen Strafrechts erhöht.
Der Untreuetatbestand ist mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG noch zu vereinbaren. Zwar hat das Regelungskonzept des Gesetzgebers - im Interesse eines wirksamen und umfassenden Vermögensschutzes - zu einer sehr weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen Strafvorschrift geführt. § 266 Abs. 1 StGB lässt jedoch das zu schützende Rechtsgut ebenso klar erkennen wie die besonderen Gefahren, vor denen der Gesetzgeber dieses mit Hilfe des Tatbestandes bewahren will. Der Untreuetatbestand lässt eine konkretisierende Auslegung zu, die die Rechtsprechung in langjähriger Praxis umgesetzt und die sich in ihrer tatbestandsbegrenzenden Funktion grundsätzlich als tragfähig erwiesen hat.
Den danach an die Auslegung des § 266 Abs. 1 StGB zu stellenden Anforderungen genügen die angegriffenen Verurteilungen in den ersten beiden Fällen, nicht jedoch die Verurteilung der Vorstände der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG (dritter Fall).
Nicht zu beanstanden ist zwar die Bewertung, dass die Beschwerdeführer mit der Bewilligung des Kredits die ihnen als Vorstandsmitglieder obliegende Pflicht verletzt haben, die Vermögensinteressen der Hypothekenbank wahrzunehmen, namentlich eine umfassende und sorgfältige Bonitätsprüfung vorzunehmen. Es fehlt jedoch an der von Verfassungs wegen erforderlichen wirtschaftlich nachvollziehbaren Feststellung und Darlegung eines Vermögensnachteils (Schadens).
Hier hat das Landgericht auf die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens zurückgegriffen: Es ist vom Eintritt eines Schadens bereits zum Zeitpunkt der Bewilligung und Auszahlung des Kredits ausgegangen, weil der durch Auszahlung des Kreditbetrags eingetretenen Vermögensminderung ein gleichwertiger Vermögenszuwachs in Form des Rückzahlungsanspruchs nicht gegenübergestanden habe, soweit die Rückzahlung mangels ausreichend werthaltiger Sicherheiten nicht gewährleistet gewesen sei. Dies ist im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zwar ist mit der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens in erhöhtem Maße die Gefahr einer Überdehnung des Untreuetatbestandes durch Gleichsetzung von gegenwärtigem Schaden und zukünftiger Verlustgefahr verbunden; dies würde die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Strafbarkeit des Untreueversuchs unterlaufen und die Eigenständigkeit des Nachteilsmerkmals in Frage stellen. Dieser Gefahr kann jedoch begegnet werden, indem(auch) Gefährdungsschäden von den Gerichten in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise nach anerkannten Bewertungsverfahren und -maßstäben festgestellt werden; soweit komplexe wirtschaftliche Analysen vorzunehmen sind, wird die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich sein.
Daran fehlt es in dem Berliner Fall. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs verletzen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, weil sie einen Vermögensschaden angenommen haben, obwohl keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende, wirtschaftlich nachvollziehbare Feststellungen zu dem Nachteil getroffen wurden, der durch die pflichtwidrige Kreditvergabe der Beschwerdeführer verursacht worden sein könnte. Dass nach der Bewertung des Bundesgerichtshofs die als Vorstandsmitglieder verantwortlichen Beschwerdeführer ein allzu weites Risiko eingegangen sind, indem sie die Kreditgewährung für das Gesamtkonzept pflichtwidrig unter Vernachlässigung anerkannter deutlicher Risiken und Negierung vielfältiger Warnungen fortsetzten, ersetzt nicht die Feststellung eines konkreten Schadens. Dieses Verfahren ist an das Landgericht zurückverwiesen worden.
Die Entscheidung in der Kritik
Amelung wies darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Straftatbestandes der Untreue zwar die Messlatte für die Verurteilung wegen Untreue höher gelegt habe, was zu begrüßen sei, allerdings die Chance versäumt habe, die Rechtssicherheit für den Bürger zu erhöhen. Nicht nur Kenner des Strafrechts kritisierten seit langem, dass es sich bei dem Untreuetatbestand im deutschen Strafgesetzbuch um einen „Kaugummiparagraphen" handele, dessen Grenzen so gedehnt seien, dass es auch dem versierten Strafrechtsexperten nur noch schwer möglich sei, die Grenzen des Straftatbestandes zu bestimmen und vorherzusagen.
Die verfassungsrechtlich bedenkliche Weite und Unbestimmtheit des Tatbestandes habe zwar auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung letztendlich anerkannt, jedoch den Untreuetatbestand mit dem Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes (gerade) noch für vereinbar erklärt. Das Bundesverfassungsgericht meine, dass die unklaren Konturen des Untreuetatbestandes durch eine langjährige Rechtsprechungspraxis konkretisiert würden und die damit an sich verfassungsrechtlich bedenkliche Unbestimmtheit der Strafvorschrift gerade noch in den Zustand der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit versetzt werde.
Dem Bürger jedoch, so die Kritik von Amelung, der im Wirtschaftsleben Verantwortung übernehme und Entscheidungen zu treffen habe, die (auch) fremde, ihm anvertraute Vermögensinteressen beträfen, werde dies jedoch wenig helfen, denn diesem würden sich regelmäßig die zahlreichen, kaum mehr überschaubaren Entscheidungen der Fachgerichte verschließen, die in ihrer Komplexität auch dem Fachkundigen besonderes Spezialwissen abverlangten, so dass er in Zukunft, um die Gefahr einer Strafbarkeit zu vermeiden, immer auf Nummer sicher gehen und den Rechtsrat von Strafrechtsexperten einholen müsse. Der klassische Firmenanwalt, der nicht über vertiefte Kenntnisse des Strafrechts verfüge, werde im Zweifelsfall für diesen Rechtsrat keine ausreichende Sicherheit bieten, insbesondere nicht die Sicherheit des schützenden Hafens des „unvermeidbaren Verbotsirrtums". Aber auch die zu Rate zu ziehenden Strafrechtsexperten würden im Zweifelsfall ihrem Mandanten nach dem Vorsichtsprinzip eher von einer risikobehafteten unternehmerischen Entscheidung ab- denn zuraten. Dass dies freien unternehmerischen Geist fördere, könne mit guten Gründen bezweifelt werden. Die Rechtsunsicherheit, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bleibe, werde die Entscheidungssicherheit in der Wirtschaft mangels klarer, leicht nachvollziehbarer Kriterien nicht erhöhen. Bedanken könnten sich beim Bundesverfassungsgericht eigentlich nur die auf Strafrecht spezialisierten Anwälte. Ihre Expertise würde weiterhin und immer mehr vor unternehmerischen Entscheidungen eingeholt werden müssen.
Amelung riet, dies zu beachten und in strafrechtlich relevanten Fällen frühzeitig rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf die auf Strafrecht spezialisierten Anwälte und Anwältinnen in dem VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. - www.vdsra.de - verwies.
Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:
Daniel Amelung
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Vizepräsident des VdSRA Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V.
Tel.: 49 89 51 77 77 40
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