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Gordon Neumann
WNS Will+Partner Fachanwälte | Rechtsanwälte mbB
Möncke­bergstr. 27
20095 Hamburg


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Kündigungsschutz nach dem KSchG oder darf man wegen des Verzehrs einer Frikadelle oder wegen eines unterschlagenen Pfandbons im Wert von EUR 1,30 entlassen werden?

Der Beitrag erlaubt einen Blick hinter die Kulissen der Arbeitsgerichte und zeigt die Systematik des allgemeinen Kündigungsschutzes am Beispiel der fristlosen Kündigung wegen des Diebstahls einer Frikadelle auf. Welche Punkte prüft das Gericht bei einer Kündigungsschutzklage? Worauf kommt es an?


Kündigungsschutz nach dem KSchG oder darf man wegen des Verzehrs einer Frikadelle oder wegen eines unterschlagenen Pfandbons im Wert von EUR 1,30 entlassen werden?

In der jüngeren Vergangenheit hatten mehrere Fälle von Kündigungen wegen kleiner Diebstähle für Aufsehen gesorgt: So bestätigten Gerichte unter anderem die fristlose Kündigung einer Supermarkt-Angestellten wegen entwendeter Pfandbons im Wert von 1,30 Euro. In einem anderen Fall ging es um die Kündigung einer Sekretärin, weil sie zwei halbe Brötchen und eine Frikadelle vom Buffet verzehrt hatte oder um die Mitnahme von einigen Maultaschen.
Öl ins Feuer hat dann Ende letzten Jahres Ingrid Schmidt, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt, gegossen. Sie hatte gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" geäußert, Kündigungen wegen kleiner Vergehen, etwa einer geklauten Frikadelle oder eines Pfandbons, seien völlig selbstverständlich. Kritik daran sei "völlig daneben". Diebstahl und Unterschlagung von geringwertigen Sachen seien seit Jahrzehnten ein Entlassungsgrund. "Es gibt in dem Sinne also keine Bagatellen", sagte Schmidt. "Wie kommt man eigentlich dazu, ungefragt Maultaschen mitzunehmen? ", fragte die höchste Arbeitsrichterin des Landes.
Die SPD-Fraktion will im Januar einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, wonach sofortige Kündigungen wegen Bagatellvergehen künftig verboten werden sollen.

Der folgende Beitrag zeigt systematisch auf, wie Gerichte im Falle einer Kündigungsschutzklage vorgehen und welche Tatbestandsmerkmale sie prüfen:

1.) Die entscheidende Frage ist zunächst, ob das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar ist. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn in dem betreffenden Betrieb ständig mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Außerdem muss das in Rede stehende Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate ununterbrochen bestanden haben. Keine Anwendung findet das Kündigungsschutzgesetz auf gesetzliche Vertreter juristischer Personen und Organe von Personengesellschaften (zum Beispiel, GmbH-Geschäftsführer, etc.). Auch bei leitenden Angestellten gibt es Besonderheiten (kein Bestands-, sondern nur Abfindungsschutz).

2.) Anschließend prüft das Gericht die Frage, ob der gekündigte Arbeitnehmer binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung Kündigungsschutzklage erhoben hat und ob das angegangene Gericht überhaupt örtlich zuständig ist.

3.) Daran schließt sich der eigentliche Kern der juristischen Prüfung an. Eine Kündigung ist nach dem Gesetz nämlich nur dann wirksam, wenn sie "sozial gerechtfertigt" ist. Dies ist nur der Fall, wenn die folgenden vier Punkte (kumulativ) vorliegen:

a) Es muss einen an sich geeigneter Kündigungsgrund vorliegen. In Betracht kommen hier lediglich personen-, verhaltens- und betriebsbedingte Gründe. Der in der Praxis häufigste personenbedingte Kündigungsgrund stellt die Kündigung wegen Krankheit dar. Ein betriebsbedingter Grund liegt z. B. vor, wenn der Arbeitsplatz wegen Auftragsrückgangs weggefallen ist. Die oben genannten Bagatellfälle betreffen allesamt eine Verletzung des Arbeitsvertrags aus verhaltensbedingten Gründen. Der Arbeitnehmer verletzt mit anderen Worten durch sein Verhalten den Arbeitsvertrag, etwa indem er unpünktlich ist oder Handlungen begeht, die das Vertrauensverhältnis mit dem Arbeitgeber erheblich belasten.

Das Gericht fragt sich also, ob durch den Diebstahl von Arbeitnehmereigentum - handele es sich auch "nur" um eine geringwertige Sache - das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beeinträchtigt wird.

b) Wenn einer der Gründe bejaht wird, prüft das Gericht, ob gegenwärtige oder vergangene Umstände auch für die Zukunft eine Störung des Arbeitsverhältnisses erwarten lassen (negative Prognose).

c) Wird auch dies bejaht, kommt das sog. Ultima ratio-Prinzip ins Spiel. Das bedeutet, dass eine Kündigung immer nur das letzte Mittel sein darf. Das Gericht fragt sich also, ob sich die Vertragsstörung auch anders als durch Kündigung beseitigen lässt. Bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen ist dies regelmäßig durch eine Abmahnung (oder Versetzung) möglich.

d) Zuletzt nimmt das Gericht noch eine umfassende Interessenabwägung vor und prüft, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Bei einer betriebsbedingten Kündigung erfolgt an dieser Stelle stattdessen die sog. Sozialauswahl.

Bei dem letzten Prüfungspunkt berücksichtigt das Gericht alle Umstände, die einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben, insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit und den bisherigen Verlauf der Beschäftigung. Je länger ein Arbeitsverhältnis störungsfrei bestanden hat, desto schwerwiegender muss die Vertragsverletzung sein, damit die Kündigung gerechtfertigt ist. Auch Unterhaltsverpflichtungen oder Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt können vom Gericht in diese Abwägung mit einbezogen werden. Bei der verhaltensbedingten Kündigung sind die Anforderungen weniger streng als bei der personenbedingten Kündigung, weil es der Arbeitnehmer selbst in der Hand hat, sich vertragsgerecht zu verhalten. Es spielen unter anderem der Grad des Verschuldens, die Bedeutung der verletzten Vertragspflicht und die Beeinträchtigung betrieblicher Belange eine Rolle.

Zusammenfassung:
Nicht jeder Diebstahl einer geringwertigen Sache rechtfertigt die (fristlose) Kündigung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt zwar Auch bei geringfügigen Vermögensdelikten an sich ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor. Ob die Kündigung jedoch auch im konkreten Fall wirksam ist, muss bei jedem Einzelfall individuell durch das erkennende Gericht geprüft werden. Eine pauschale Aussage ist hierzu nicht möglich. Die Gesetzeslage und die Rechtsprechung ermöglichen somit in jedem Fall eine gerechte Entscheidung, die die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigt.

Gordon Neumann
Rechtsanwalt
geschäftsführender Gründungspartner und Ansprechpartner für Kündigungssschutzrecht bei www.wns-partner.de
 
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